: Benzin ins Blut
Freizeitwerte in der großen Stadt (Teil 2): Michael Schumacher hat das Gokartfahren populär gemacht und ist schuld an seinem schlechten Ruf. Zu Unrecht. Ein Nachmittag auf Speed
von HENNING KOBER
Vor kurzem hatte ich abends sehr schlechte Laune. Glücklicherweise erinnerte ich mich an eine alte Arznei zur Stimmungsaufhellung, die mich vor ein paar Jahren regelmäßig rettete. Auf dem Rezept steht: Ins Auto setzen, sehr schnelle, sehr laute Musik, eine Schachtel Zigaretten und los, raus auf die Autobahn und Gas geben. Schnell die Spuren wechseln, immer nur kurz blinken. Geschwindigkeit macht high und frei, spürte ich damals. und es klappt immer noch.
Unsere aktuelle Geschwindigkeit beträgt allerdings nicht viel mehr als 50 Kilometer, was am dichten Samstagnachmittagverkehr liegt, der sich gesittet vom Jakob-Kaiser-Platz Richtung Spandau treiben lässt. Dort wartet auch die „Kart-World“, eine von etwa einem Dutzend Bahnen in Berlin und Umland.
Mit dabei ist Dani, ein Freund aus Stuttgart, der im Gegensatz zu mir ein erfahrener Gokartpilot ist. Ich frage ihn, wie man sich den Kick vorstellen muss. Seine Antwort ist ein viel versprechender Blick von unten, der mich nicht schlau macht.
Die „Kart-World“ ist in einem schlichten Industriebau an der breiten Ausfallstraße „Am Juliusturm“ zu Hause. Holztische und Stühle stehen vor dem Eingang, drinnen poppige Bistroeinrichtung à la American Dinner. Schwarzweiß gefliestes Schachbrett am Boden, ferrarirote Stühle, Formel-1-Bilder an der Wand. Goldene Pokale, Autogramme. Es ist nicht viel los. Ein paar Männer schauen mit Bier in der Hand zum Fernseher, in dem das Qualifikationsrennen zur Formel 1 läuft. Was sonst.
Wir sitzen am Tisch mit Sven Köpp, der Geschäftsführer oder so etwas Ähnliches ist. Der junge Mann mit Ziegenbart hat gute Laune und erzählt, wer so kommt. Überwiegend Stammgäste, Deutsche-Bank-Filiale, E- Plus-Angestellte zum Betriebsausflug. Gerne auch Schulklassen, dann allerdings mit Pokalen und Siegerehrung auf dem Podest. Was er erzählt, bestätigt das Bild, das wir vorher schon im Kopf hatten: Am stärksten vertreten sind Freundeskreise und ganze Familien, die zusammen zur Bahn kommen zum Fahren, Essen, Trinken, Formel-1-Schauen.
Die Karts sind mit 6,5 PS motorisiert, auf den langen Geraden erreicht man bis zu 60 km/h. Ob wir mal ne Runde drehen wollen? Klar, deshalb sind wir hier.
Ein Junge mit kurz rasierten Haaren erklärt uns die Regeln; es gibt blaue, gelbe, rote und noch ein paar andere Fahnen, aber ich kann mir ihre Bedeutung nicht merken. Blinken die gelben Warnleuchten, muss langsam gefahren werden. Wir ziehen die schwarzen Sturmmasken übers Gesicht und sehen aus wie Bankräuber. Darüber ein Helm. Sicherheitsgurte gibt es nicht.
Neun Karts werden auf die Strecke gehen, die in der großen Halle eine Acht beschreibt. Unsere Mitfahrer sind Andrej und Jean, die auf der Bahn als Streckenposten arbeiten. Und: fünf Freundinnen, die sich routiniert auf den Start vorbereiten. Kommt mir zumindest so vor, aber vielleicht ist meine Wahrnehmung auch etwas getrübt durch die Aufregung, die jetzt losstrudelt.
Ich sitze im letzten Kart, Nummer 9, Dani vor mir. Das grüne Licht kommt schnell, rechts Gas, links Bremse. Jetzt Vollgas. Sofort geht’s los, und das richtig.
Der Körper presst sich fest in den Plastiksitz, nicht weit über dem Boden. Die erste Kurve, bremsen, Lenkrad drehen. Treibt mich ziemlich weit raus. Alles geht superschnell, ich fühle die kleinste Sehne in meinem Körper. Alles fühlt sich topwach, topgespannt an.
Dani hat schon das erste Mädchen überholt, und jetzt bin auch ich an ihr dran. Neue Kurve, Berg hoch und Vollgas wieder runter, vorbei an dem Mädchen. Meine Augen visieren das nächste Ziel, das nächste Mädchen. Auf der Geraden bin ich fast an ihr dran. Spannung und Aggression drängen in die Nervenzellen, die Zähne sind fest aufeinander gepresst. In der Kurve komme ich innen an ihr vorbei.
Die Arme haben ordentlich zu tun, Servolenkung gibt es nicht, natürlich. Hart und ehrlich ist diese Veranstaltung. Ich spüre, wie der Motor, der unter den Sitz gebaut ist, immer wärmer wird. Dann passiert es: Fehler. Ich ramme Dani, ausgerechnet Dani, leicht in die Seite, aber immer noch so heftig, dass es mich dreht und ich feststecke. Er ist weiter. Der Streckenposten braucht ewig, ich verliere viel zu viel Zeit. Langsam arbeite ich mich wieder ran, überhole, schließe auf.
Dann ist alles vorbei, nach acht Minuten ist das Rennen zu Ende. Parken in der Boxengasse, einer der Jungen drückt mir einen Computerausdruck mit der Rennanalyse in die Hand. Vierter, 41er Rundenzeit. Ganz okay, oder? Meine Füße torkeln angenehm benommen nach vorne. Dani lacht und bestellt Bier. Wir sitzen an der Straße, halten die Pilsgläser über den Tisch und testen, wer stärker zittert. Dani erzählt von Frauen und ich vom Schmerz der Liebe. Es ist verdammt schön hier.
Später drehen wir noch eine Runde. Dann fahren wir zurück, und ich merke gar nicht, wie schnell wir unterwegs sind. Die Tachonadel tanzt zwischen 80 und 100. „Weißt du jetzt, was ich gemeint hab?“ Ja. „Willst du nicht ein bisschen langsamer fahren?“ Nein.