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Archiv-Artikel

Die Törtchen am Fluss

Bürger & Bier

Bamberg mit seinen heute knapp 70.000 Einwohnern hat sich im Laufe der Zeit viele wohlklingende Titel verdient: Vom etwas hoch gegriffenen „Caput orbis“ (Hauptstadt der Welt) aus dem Hochmittelalter über „Edelstein Deutschlands“, „fränkisches Rom“ bis hin zur „Traumstadt der Deutschen“. Auf einen sind die Bamberger aber ganz besonders stolz: Gerne bezeichnen sie ihre Stadt als „Bierstadt Deutschlands“. Das kleine Städtchen besitzt heute noch zehn Brauereien, darunter die für ihr charakteristisches Rauchbier weltbekannte Brauerei Schlenkerla.

Das Bierbrauen hat in Bamberg eine lange Tradition, der erste urkundliche Nachweis datiert von 1122, als Bischof Otto I. das Braurecht an die Benediktiner verlieh. 1818 kamen auf 17.000 Einwohner 65 Brauereien, und während sich die Bevölkerung bis 1902 mehr als verdoppelte, führte die beginnende Industrialisierung dazu, dass die Zahl der Brauereien auf 36 schrumpfte. Diese allerdings waren aufgrund neuer Produktionsverfahren in der Lage, die Jahresproduktion im Vergleich zu 1818 zu vervierfachen. Die Jahre 1915–1920 waren für das Bamberger Brauereiwesen sicherlich die schwierigsten; während des Ersten Weltkriegs und der Zeit der wirtschaftlichen Depression mussten weitere 12 Brauereien schließen.

Mit seinen heute zehn Brauereien steht Bamberg selbst im Vergleich zur Region Franken mit ihrer großen Brauereidichte aber gut da: Die Stadt Nürnberg etwa, mit einer halben Million Einwohner deutlich größer, verfügt nur über eine einzige Brauerei, die Firma Tucher. Das Unternehmen, das sich im Laufe der Zeit mehrere traditionsreiche Betriebe einverleibt hat, produziert heute in der Kategorie „Fernsehbiere“ und ist eine Tochterfirma des Oetker-Konzerns. Die Bamberger Brauereien dagegen präsentieren sich im losen Verbund mit Hang zur Tradition. Die Gründung der Brauerei Schlenkerla geht auf das frühe 15. Jahrhundert zurück, es folgten Klosterbräu und Spezial im 16. Jahrhundert. Einzig die Gasthausbrauerei Ambräusianum fällt ein wenig aus dem Rahmen; sie wurde erst 2004 gegründet, hat aber dafür den altertümlichsten Namen.

Stadt- und Brauereigeschichte durchdringen sich an vielen Orten. Im Fränkischen Brauereimuseum etwa wird versucht, anhand von Mälzereigerätschaften, Büchern und Urkunden regionale Bierkultur zu vermitteln. Seit 2003 wird der „Bamberger Bierorden“ an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verliehen. Auch werden an den „Bamberger Biertagen“, die alle maßgeblichen Brauereien zusammenholen, Stadtführungen zur Brauereigeschichte abgehalten. Und obwohl sich Bamberg längst schon mit dem Ausdruck „Symphonie in B“ beschreibt, womit Bürger, Burg, Barock und Bier gemeint sind, sind letztlich doch alle Anstrengungen umsonst: Trotz Museum, Stadtführung und jährlicher Ordensverleihung wird die Stadt wohl nicht umhinkommen, einzusehen, dass sie den Titel der „Bierstadt Deutschlands“ nur pro forma führen darf. Im Landkreis Bayreuth nämlich fährt die kleine Gemeinde Aufseß bei 1.500 Einwohnern gleich vier Brauereien auf und hat sich damit, bezogen auf die Einwohnerzahl, die höchste Brauereidichte der Welt gesichert – und natürlich auch den Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde.

Bestellen lassen sich die Biere Bambergs auch ganz bequem von Berlin aus unter www.biershop-bamberg.de. Wer das Angebot lieber persönlich und vor Ort verkosten möchte, kann seinen Aufenthalt im Bierland Oberfranken über das Reisebüro Heller buchen. Der Anbieter ist spezialisiert auf Bierkenner-Seminare, Brauerei-Wanderungen und Biersafaris: info@frankencountry.de ALA

Der Frieden zwischen Nord und Süd ist fest, aber kalt: Ein Berliner in Bamberg

VON MICHAEL RUTSCHKY

„Es ist ein bisschen wie heile Welt“, erklärte sommers der Wirt seinen Gästen, einem Ehepaar, das an der spanischen Küste ein großes Hotel betreibt. Der Ehemann verstand kein Wort Deutsch und schaute unterdessen freundlich auf das Sträßchen, das die Sonntagssonne beschien, samt dem ruhigen Treiben darauf: die Touristen, die das Städtchen immerfort durchwandern; außerdem technisches Personal, das diese und jene Anlage in Betrieb zu setzen hatte, denn es stand schon wieder ein Rummel an, um die Touristen ebenso wie die Einheimischen zu unterhalten. Er kenne viele Leute, fuhr der Wirt gegenüber den Gästen aus Spanien fort, die ihr Arbeitsleben draußen in der Fremde verbringen mussten – so ist das nun mal – und jetzt, nach der Pensionierung, aufatmend in die Heimat, nach Bamberg zurückkehren. „Davon habe ich“, sagen sie „dreißig Jahre lang geträumt.“

Es steht außer Frage. Der Berliner bekräftigt es bei jeder Gelegenheit: Ja, dies ist ein ganz ungewöhnlich hübsches Städtchen. (70.000 Einwohner, wenn man die Studenten mitzählt.) Die bildhübsche Häuserreihe am Fluss, die sich „Klein Venedig“ nennt und die nicht gebaut, sondern gebacken wirkt, der Berliner hatte sie von einem Besuch vor zwanzig Jahren noch genau in Erinnerung – „wie die Törtchen in einer Konditorauslage“. Gleich beginnt man zu träumen, welches der Häuschen man selber bewohnen möchte. Drinnen schmücken die Stadt solche schönen barocken Sandsteinpalais, kein rotes, sondern ein honigfarbenes Baumaterial: So etwas findet man nirgends in Berlin. Der Sommer brachte Arkadien in das Städtchen: Verwegene Jungs springen spottend in den rasch dahintreibenden Fluss.

Er muss es ihnen immer wieder sagen, den Einheimischen, der Berliner, wie wahrhaft bildhübsch ihr Städtchen ist, wie er hier einen längeren Arbeitsaufenthalt genießt. Wie gut die einheimische Küche ist – und wer die Würste, Braten und Klöße verschmäht, dem offerieren die Speisekarten vorbildlich Italienisches; im Vormarsch ist Chinesisches aus dem Wok; sowie Spanien. Dazu das gute Bier und die edlen Frankenweine. Wie außerordentlich freundlich die Leute sind: grüßen wie auf dem Dorf, und wenn man zum zweiten Mal im selben Laden seine Zeitung kauft, ist man schon Stammkunde. Dass Berlin ebenfalls schön ist im Sommer, flüsterte mir ein anderer Berliner zu, Summer in the City, man traut sich’s gar nicht zu sagen. Das Herumsitzen im Straßencafé, die Flanerie, der Tiergarten – bloß in der eigenen Wohnung bei offenen Fenstern lesen, und der Lärm der Straße dringt ins Haus? Und jetzt, im Winter, in der dunklen Jahreszeit beleben die Verkehrsströme und ihre Lichter die Stadtlandschaft; gar nicht zu reden von den Leuchtreklamen, die schon für das Kind die winterdunkle Großstadt in einen Zauberwald verwandelten?

Aber hübsch ist Berlin nirgends, nein. Eine einheimische Küche ist inexistent, und dass gute Laune und Freundlichkeit den allgemeinen Umgangston bestimmen, behauptet niemand. Es wird besser, wegen der Touristen, gewiss. Er führe das auf die Römer zurück, erklärte der Berliner einem gebildeten Bamberger, 1.000 Jahre länger Zivilisation zahlen sich aus in Franken – das kann der Berliner ja ebenso in Köln erleben, das eine römische Metropole war. Der gebildete Bamberger stimmte zu: Ja, es werden die Römer gewesen sein – während man in Süddeutschland selbst ja gern die katholische Kirche mit ihrem Sinn für das Irdische und seine Freuden ins Treffen führe.

Das Katholische, es springt den protestantischen Berliner überall an. Vor allem natürlich in der Domstadt, die den einen Teil Bambergs bildet, mit ihrem Prunkstück von Kirche. Hier bewundert man den berühmten Reiter, den der mystische Nationalismus zu einem Apoll der Deutschen verklärte? Nebenan das Diözesanmuseum mit kostbarem Kultgerät, mit kaiserlichen und päpstlichen Ornaten – dagegen wirken die preußischen Königs- und Kaisergräber im Berliner Dom lächerlich, parvenuhaft. Das Katholische springt den Berliner aber auch in der Bürgerstadt, dem anderen Teil Bambergs, auf einer Insel zwischen den zwei Flussarmen der Regnitz gelegen, immer wieder an. Kaum ein Haus ohne Mutter Maria über dem Eingang, den heiligen Georg, der den Drachen ersticht, Christopherus mit dem Kind auf dem Buckel. Immer wieder das Kruzifix mit dem nackten, ausgespreizten Mann und dem ergebenen Ausdruck des Leidens.

Man macht sich zu selten klar, resümierte der gebildete Bamberger, wie gründlich sich Norden und Süden in Deutschland unterscheiden. Seit der Wiedervereinigung kehrt nur immer die Beobachtung wieder, dass Westen und Osten nicht zusammenwachsen – aber bei Nord und Süd ist es nicht anders. Womöglich stärker. Immerhin haben wir eine Bundeskanzlerin aus dem Osten. Während es ein Bayer vermutlich niemals ins Kanzleramt schafft. Dass die Nation eine ethnische Identität verkörpere, wir sind ein Volk, das ist fiktiv. Es hat doch furchtbare Kämpfe gekostet, bis Katholiken und Protestanten einander in ein und demselben nationalen Raum ertragen lernten. Der Dreißigjährige Krieg. Da kann man sich vorstellen, wie lange es im Nahen Osten noch dauert, bis Schiiten und Sunniten einander tolerieren. Und einander womöglich in ihren hübsch restaurierten Städten als Touristen besuchen.

Der Frieden zwischen Norden und Süden ist in Deutschland fest, aber kalt, wie der Berliner in Bamberg zu erkennen meint. Wenn er sich als Protestant outet, trifft ihn oft ein befremdeter Blick: Seit 500 Jahren sehen die Protestanten einfach nicht ein, dass sie einem Irrtum unterliegen? Und hinter der Freude, die der Berliner den Einheimischen immer wieder bereitet, wenn er ihr bildhübsches Städtchen lobt und preist, ahnt er oft das höfliche Erstaunen, wie man überhaupt anderswo leben kann? Dort hinten womöglich, im Nordosten, in der unmäßig großen Hauptstadt. Die alles andere als bildhübsch ist. Dafür immer mal wieder schön.

MICHAEL RUTSCHKY wurde im Mai 1943 in Berlin geboren, wuchs jedoch in Spangenberg (Hessen) auf. Der längst wieder heimgekehrte Berliner lebt und arbeitet zurzeit als Stipendiat des Internationalen Künstlerhauses Concordia in Bamberg (Bayern)