: Was bleibt, ist Misstrauen
Nach der Einigung zur Zuwanderung macht selbst Otto Schily den Grünen Komplimente: „Sie können sich gratulieren“. Aber war wirklich nicht mehr drin?
AUS BERLIN PATRIK SCHWARZ UND LUKAS WALLRAFF
Kaum hatte Gerhard Schröder am Dienstagabend voller Stolz die „politische Einigung“ über ein gemeinsames Zuwanderungsgesetz mit der Opposition verkündet, begann auch schon der Kampf um die politische Deutungshoheit. Wer hat gewonnen, wer hat verloren? Und wer bestimmt, wie es jetzt weitergeht, wie der Konsens am Ende bis auf Punkt und Komma aussieht?
Fest steht: Es gibt ein Papier, das den Rahmen für das Gesetz absteckt, das bis Ende Juni kommen soll (siehe Seite 4). Darin sind Verschärfungen enthalten – mehr, als die Grünen wollten, aber weniger, als CDU und CSU gefordert hatten. Fest steht auch, zumindest beharren SPD und Grüne darauf: Weitere Zugeständnisse wird es nicht geben. Den genauen Gesetzestext sollen Innenminister Otto Schily (SPD), Peter Müller (CDU) und Günther Beckstein (CSU) ausfeilen.
Folgt man der Interpretation von Union und FDP, steht der Verlierer damit fest: Es sind die Grünen. Die Innenpolitiker der Union um Wolfgang Bosbach freuten sich über „erhebliche Zugeständnisse im Sicherheitsbereich“, die Schröder den Grünen abgerungen habe. „Die aus multikulturellen Träumen gespeiste naive Vorstellung“, dass man die Sicherheitsfragen von der Zuwanderung trennen könne, sei gegen den Widerstand der Grünen „ad acta gelegt“ worden. Eine Analyse, die von den Liberalen geteilt wird – was wenig überrascht. FDP-Chef Westerwelle würde seinen Job verfehlen, wenn er in dem Kompromiss nicht eine Niederlage für den Rivalen der Liberalen um Platz drei in der Parteienlandschaft sähe. Also behauptet er, der Kanzler habe die Grünen „auf Linie gebracht.“
Diese Behauptung ist boshaft, aber nicht aus der Luft gegriffen. Schließlich sind in dem 8-Punkte-Papier, das am Dienstag abgesegnet wurde, mehrere neue Ausweisungsgründe, neue Abschiebungsanordnungen und neue Überprüfungsvorschriften bei der Einwanderung enthalten. Obwohl die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne), noch am vergangenen Wochenende erklärte, zum Schutz vor Terroristen seien keine Gesetzesänderungen nötig. „Wir haben das Instrumentarium“, sagte Beck, „wir brauchen nichts Neues.“ Nun gibt es doch was Neues – und die Grünen haben ein Problem. Auch in den eigenen Reihen ist die Enttäuschung groß.
Mit dem „Paradigmenwechsel“ hin zu einer modernen, offenen, fremdenfreundlichen Einwanderungsgesellschaft, den die Grünen einst anstrebten, haben viele Vorschriften nichts mehr zu tun. Das weiß die grüne Führungscrew, weshalb sie betont, man habe sich selbstverständlich mehr gewünscht, doch mehr sei mit SPD und der Union nicht drin gewesen. „In der Sache und den Umständen entsprechend sehr wohl tragbar“ nannte etwa Marieluise Beck den Kompromiss. Eines aber wollen sich die Grünen nicht vorhalten lassen: dass sie am Dienstag eingeknickt seien und die Prinzipien ihrer Partei verraten hätten. Dem grünen Verhandlungsführer Volker Beck und Parteichef Reinhard Bütikofer war es gestern deshalb besonders wichtig, darauf hinzuweisen, dass so gut wie alle Verschärfungen durch den Beschluss des grünen Länderrats vom 8. Mai gedeckt seien. Einzige Ausnahme: die Regelanfrage beim Verfassungsschutz vor Aufenthaltsgenehmigungen. Wenn es dabei bleibe, sei diese „bittere Pille“ aber akzeptabel, findet selbst der linke NRW-Landeschef Frithjof Schmidt.
Keine Frage: So kann man es sehen. Nur klang das, was die Grünen in den vergangenen Wochen sagten, noch ganz anders. „Das Spiel ist aus“, hatte Bütikofer vor drei Wochen lauthals verkündet – und die Zuwanderungsverhandlungen gemeint. Landauf, landab erzählten die Grünen ihrer Basis daraufhin, welche schönen Dinge man auch ohne die Union beschließen könne.
Damit sorgten sie für eine Aufbruchstimmung und die Illusion, das ungeliebte Gesetz mit der Union sei bereits vom Tisch. In dem Parteitagsbeschluss hieß es: „Zustimmungsfreie Möglichkeiten nutzen.“ Nun also doch ein Kompromiss. Dass es sich um einen Kompromiss handelt, begründen die Grünen damit, dass der Großteil der Unionsforderungen abgelehnt worden sei, wie die Sicherungshaft für Terrorverdächtigte und weitere Verschärfungen.
Was bleibt, ist Misstrauen gegen Schily, der mit der Union die Details aushandeln soll. Deshalb betonen die Grünen, sie würden „mit Argusaugen“ darauf achten, was der Minister ins Gesetz hineinschreibt. Schily versuchte die Grünen gestern zu beruhigen. Es sei „nichts mehr zu verhandeln“, die Grundlinien stünden fest. „Die Grünen können sich gratulieren“, meinte der exgrüne Minister. So hätten sie bei der Integration von Ausländern eine Umkehrung der eigentlich schon festgezurrten Vereinbarung erreicht: Einwanderer hätten künftig ein Recht auf Teilnahme an Sprachkursen, für die der Bund finanziell aufkommt. Und überhaupt: „Wir haben jetzt das modernste Zuwanderungsrecht in Europa.“