: Der neue Norah Jones
Till Brönner ist seit Jahren der erfolgreichste Jazz-Musiker Deutschlands. Trotzdem hat er nichts als Probleme. Geld, Ruhm und die viele, viele Arbeit. Jetzt kommt ein neues hinzu: Brönner singt
VON THOMAS WINKLER
Es ist leicht, Till Brönner zu sein. Man jettet um die Welt, verbringt seine Nächte in coolen Clubs, schwimmt im Vergleich zu anderen Jazzern im Geld und betört willige Frauen mit dem Trompetenspiel. So denkt sich das mancher zumindest. Aber nein, sagt einer, der es wissen muss, nämlich Till Brönner selbst: Es ist ganz und gar nicht leicht, Till Brönner zu sein. Vielmehr sei der Aufwand „immens“, muss „wahnsinnig viel in den Job investiert“ werden, ist gar ein Preis zu „bezahlen“, kurz: mag Till Brönner sein Leben beim besten Willen keinem anderen Musiker zumuten. Netter Till.
Und jetzt macht sich Brönner das Leben auch noch selbst schwer: Er singt. Ein ganzes Album lang. Singt davon, wie beim „secret rendezvouz“ an Wein genippt wird, dass Grün die Farbe des Frühlings ist, singt vom Vermissen und Verlieben und dass der Sonnenaufgang ausfällt, wenn die Frau einen verlassen hat, singt halt, was gemeinhin so gesungen wird über unaufgeregten Jazz-Balladen, die im Ohr schmelzen wie Schokolade mit hohem Kakaobutteranteil, während die gestopfte Trompete des Meisters die vollkommen stilsichere Unternehmung veredelt. Süßer Till.
So schwer es ist, Till Brönner zu sein, so leicht ist es, sich auszurechnen, wie die Häme aussehen wird, die über Till Brönner ausgekippt werden wird für „That Summer“ (Universal Jazz), sein neues Album, das Anfang Juni erscheint. Für dieses Album ist der Erfolg so sicher programmiert wie der Sommer nicht abgesagt wird. Und ebenso sicher wird diesem Album folgendes vorgeworfen werden: Dass Brönner ein Stück vom Kuchen abhaben will, den Norah Jones gebacken hat; dass Brönner gar nicht singen kann; und nicht zuletzt: dass Brönner schon wieder erfolgreich ist. Armer Till.
Auf all diese Vorwürfe ist Brönner vorbereitet. Norah Jones sei „ein Phänomen, das man nicht kopieren kann“, und zudem eh völlig falsch im gleichen Regal wie er, weil eigentlich „Countrymusik mit Jazzinstrumenten“. Singen wollte er, weil er schon seit Jahren ein Vocal-Fan sei, allerdings habe er „keinen Anspruch, einem Sänger Konkurrenz zu machen“. Und der Erfolg? Der käme nicht von allein, es werde „verkannt, wie viel Arbeit hinter dem steckt, was ich mache“. Fleißiger Till.
Die Arbeit sieht zum Beispiel so aus: Brönner hat gespielt mit DeeDee Bridgewater und Bootsy Collins, mit Hildegard Knef und Manfred Krug, mit den No Angels, Pat Metheny und jedem sonst, der das Wort Berührungsängste fehlerfrei buchstabieren konnte. Er hat tagelang Interviews gegeben, bei Fotosessions verträumt an der Kamera vorbeigeguckt, war bei Biolek kochen, hat sich um ein Zimmer beworben bei Götz Alsmann und Christine Westermann, hat Pizza gegessen mit Dirk Nowitzki und ist so weltweit bekannt, wie es ein deutscher Jazzmusiker wohl werden kann. „Eine Marke“ nennt ihn seine eigene Plattenfirma, seine Verkäufe sind die besten, die hierzulande von einem einheimischen Musiker im Marktsegment Jazz erzielt werden. Trotzdem kann Brönner noch gefahrlos seinen Namen auf dem Klingelschild des Charlottenburger Mietshauses anbringen, in dessen Hinterhaus er sich ein Studio eingerichtet hat. Auf dem dort verlegten Laminat schiebt er seinen Hocker ein wenig vor, beugt sich zum Zuhörer und sagt: „Es gibt eine Menge Konsumenten, die von den Plattenfirmen vergessen werden. Leute Mitte dreißig und älter, die das Geld hätten, aber im Plattenladen nicht mehr fündig werden. Wenn die sich was Gutes tun und keinen Scheiß hören wollen, kaufen die sich eine Till-Brönner-Platte.“ Schlauer Till.
Brönner selbst nennt die Funktion, die er bei dieser Sorte Konsument erfüllt, den „Style-Berater“. Dass dieser Style von seinen Kollegen in der „Gilde, der ich ursprünglich einmal angehört habe“, also bei den Jazzern, als substanzlos bezeichnet wird, ficht ihn nicht an. „Ich bin Jazzmusiker“, sagt er, nur „mein Image war unjazzig“. Tatsächlich ist Brönner zu eloquent und medientauglich, um das typische Dasein eines deutschen Jazzmusikers zwischen Kellerbühne, Kleinkunstpreis und kakophonischen Free-Jazz-Versuchen zu fristen. Diese Chance, die ihm sein „Everybody’s-Darling-Image“ bot, hat er erkannt und genutzt. Mit Musik, die keinem weh tut, weil: „Musik muss ja auch nicht weh tun.“ Denn schließlich: „Warum veröffentliche ich eine CD? Um sie zu verkaufen? Oder um mal sagen zu können: Guckt mal, die hat euer Großvater gemacht? Ich bin keiner, der mit Musik protestiert. Das überlasse ich anderen. Da gibt es genug, die keiner hören will.“ Die Pharisäer waren inbegriffen im Preis, „den man immer zahlt, wenn man Prioritäten setzt“. Diese „altgedienten Herren“ sitzen nun „krank in einem Reihenhaus und merken, dass sie auch irgendein Preis, den sie mal gewonnen haben, nicht mehr rausholt“. Brönner hat das Talent, selbst solche Sätze mit größtmöglicher Empathie zu sagen. Er ist tatsächlich ein netter Mensch. Mitfühlender Till.
Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass es mitunter wirklich nicht so leicht ist, Till Brönner zu sein. Spätestens dann, wenn der 32-Jährige von seiner nun ein gutes halbes Jahr währenden Vaterschaft berichtet. Erst seit er sich fortgepflanzt hat, wurde ihm „in Ansätzen klar, warum ich auf der Welt bin“. Man kreise in seinem Beruf „auf unangenehme Weise“ vornehmlich um sich selbst. Das „wieder ins Gleichgewicht zu bringen“, scheint ihm nun „eine große Herausforderung“. Sounds like: Luxusproblem.