rheinsberg. kein happy end von WIGLAF DROSTE :
Als Kurt Tucholskys „Rheinsberg – Ein Bilderbuch für Verliebte“ 1912 erschien, machte die Erzählung den jungen Autor auf Anhieb berühmt. Der freizügige Tonfall der Geschichte von Claire und Wölfchen war neu im wilhelminischen Deutschland: Eindeutig sexuell aneinander erfreut, turtelte da ein junges Paar, das weder verheiratet noch verlobt war.
Die Liebesgeschichte war nicht ausgedacht. Im Sommer 1911 hatten der 21-jährige Tucholsky und seine 22-jährige Geliebte Else Weil ein aufregendes Wochenende in Rheinsberg verbracht. Else Weil war eine der ersten Frauen, die in Preußen Medizin studierten, sie war klug, schön und selbstbewusst. Tucholsky taufte sie Claire Pimbusch – den Namen hatte er Heinrich Manns Roman „Im Schlaraffenland“ entliehen, in dem die Claire Pimbusch als „das verkörperte Laster“ beschrieben wird. Auch den ganz spezifischen Sound von „Rheinsberg“ bekam Tucholsky geschenkt. Sein Freund Walter Mehring notierte später: „Dies infantile Schlafzimmer-Gealber, das er phonetisch waschecht aufnotiert hat, das hatte Pimbusch ihm eingeflüstert.“
„Und Claire war real – Kurt Tucholskys unbekannte erste Ehefrau Dr. med. Else Weil“ ist der Titel eines Hörfunkfeatures, das 1998 im WDR erschien: Der Autor, Peter Böthig, Leiter des Kurt Tucholsky-Literaturmuseums, wurde durch einen Eintrag ins Gästebuch der Rheinsberger Gedenkstätte auf die „angeheiratete Nichte Gabriele Weil, London“ aufmerksam, suchte und fand sie und erfuhr mehr.
Tucholsky war ein scharfer Gänger; bald nach der Rheinsberger Affäre löste er die Verbindung mit Else Weil, verlobte sich mit der Geliebten Kitty Frankfurter, verliebte sich im Ersten Weltkrieg in Riga in Mary Gerold, entlobte sich, holte Mary Gerold nach Berlin, trennte sich wiederum von ihr – und heiratete im Mai 1920 Else Weil, zu der er den Kontakt nie ganz aufgegeben hatte. Die Ehe hielt bis März 1924. Else Weil schrieb: „Als ich über die Damen wegsteigen musste, um in mein Bett zu kommen, ließ ich mich scheiden.“
Im Dezember 1933 entzogen die Nationalsozialisten Else Weil ihre ärztliche Approbation: „Mit kollegialer Hochachtung“ nahm ihr der Berliner Ärztebund das Recht auf Ausübung ihres Berufs – offiziell nicht deshalb, weil sie Jüdin war, sondern weil sie „keinerlei Front- oder Kriegsdiensttätigkeit während des Weltkrieges“ vorweisen konnte. Im März 1933 hatte Else Weil wieder ihren Mädchennamen angenommen – wie auch Mary Tucholsky, die seit 1928 von Tucholsky getrennt lebte und ab August 1933 wieder Mary Gerold hieß. Seitdem Leute wie der damals aufstrebende Hans Filbinger zu bestimmen hatten, bedeutete der Name Tucholsky Verfolgung und Tod.
Denen Else Weil auch durch Flucht nicht entging. Im Oktober 1938 emigrierte sie nach Frankreich. Noch ein paar Jahre blieb sie am Leben, interniert in Aix-en-Provence. Ohne gültigen Ausweis und ohne Aufenthaltsgenehmigung wurde sie als staatenlose Jüdin deportiert: Am 9. September 1942 verließ der Zug, in den auch Else Weil eingepfercht war, einen Vorort von Paris, zwei Tage später erreichte er Auschwitz. Von den Insassen dieses Transports in das Vernichtungslager überlebte niemand.