Schlagende Verbindungen

Spanische Frauen sind emanzipierter denn je. Und leiden gerade deshalb stärker unter der Gewalt ihrer Ehemänner. Denn die Selbstständigkeit der Frau verletzt das machistische Ehrgefühl. Nun hoffen die Frauen auf die sozialistische Regierung

AUS MADRID REINER WANDLER

Montse Marín lebt im Untergrund. Seit drei Jahren hält sie sich mit ihrem fünfjährigen Sohn in Madrid versteckt. Sie ist auf der Flucht – aber nicht etwa vor der Polizei, sondern vor ihrem Exmann. „Dieses Subjekt machte mir das Leben zur Hölle“, sagt Montse, eine junge Frau Mitte dreißig. Er sperrte sie in der Wohnung ein, schlug und vergewaltigte sie. „Um zu verhindern, dass ich abhaue, drohte er damit, mich und das Kind umzubringen.“ Fünf Jahre hielt sie es bei ihm aus, bis die Qual größer wurde als die Angst. Montse verließ ihre Heimatstadt Barcelona und zog ins Frauenhaus im 600 Kilometer entfernten Madrid.

Auch heute, drei Jahre später, fürchtet die attraktive Frau noch immer um ihr Leben. Nur wenige wissen, wo Montse wohnt, seit sie das Frauenhaus verlassen hat. Wenn sie sich verabredet, dann immer in Lokalen weitab von ihrem Stadtteil. „Jedes Mal, wenn ich in den Nachrichten sehe, dass eine Frau Opfer von Gewalt wurde, denke ich: Du kannst die Nächste sein“, sagt Montse. Erst kurz vor diesem Treffen hatte sie wieder diese Gedanken. Die Nachrichten berichteten von einer 16-Jährigen, die von ihrem 19-jährigen Freund mit einem Jagdgewehr erschossen wurde. Die Jugendliche war das 28. Opfer seit Jahresbeginn.

„Die Zahl der getöteten Frauen steigt von Jahr zu Jahr“, berichtet Angeles Alvarez, Sprecherin des Red Feminista – eines Feministischen Netzwerkes. 2003 wurden 103 Frauen von ihrem Ehemann, Lebensgefährten oder Expartner umgebracht. 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Und dieses Jahr wird dem kaum nachstehen. Alleine in den ersten 19 Wochen verloren dreißig Frauen ihr Leben. In sieben Fällen fielen auch die gemeinsamen Kinder den Mördern zum Opfer. Erschossen, erstochen, erdrosselt, mit dem Auto überfahren oder mit Benzin überschüttet und verbrannt – der „Geschlechter-Terrorismus“, wie die spanische Presse und die Frauenbewegung die ständige Zunahme der Gewalt gegen Frauen nennen, kennt keine Grenzen. Die 50.000 Anzeigen pro Jahr wegen Misshandlungen sind nur ein Indiz für das tatsächliche Ausmaß der Gewalt. Neueste Untersuchungen gehen davon aus, dass in Spanien mindestens 10 Prozent der Frauen regelmäßiger physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt sind.

Gleichzeitig nimmt die Mobilisierung der Öffentlichkeit gegen die Misshandlungen zu. Überall im Land gibt es regelmäßige Mahnwachen. Nirgendwo in Europa wird dem Problem so viel Raum in der öffentlichen Debatte eingeräumt wie in Spanien.

Das Land liegt bei der Anzahl von Morden an Frauen durch den Lebensgefährten an Platz zehn der EU-Statistik und an Platz fünf im Bezug auf Gewalt gegen Frauen ohne Todesfolge. „Doch nirgends ist die Gewalt so schnell angestiegen wie hier“, berichtet Alvarez. Den Grund dafür sieht sie in der „emanzipatorischen Entwicklung, die spanische Frauen seit der Rückkehr zur Demokratie gemacht haben“. Waren Verheiratete vor 25 Jahren in Spanien noch völlig unmündig und Scheidungen verboten, haben sich Frauen heute die gleichen Rechte erkämpft wie im restlichen Europa. „Der Preis für diese Freiheit ist die Gewalt gegen Frauen“, sagt Alvarez.

Luis Bonino, Psychologe und Leiter des Zentrums zur Erforschung der Männlichkeit, bestätigt dies. „Die Misshandlung von Frauen hat nichts mit spontanen Aggressionsausbrüchen zu tun. Der Grund dafür ist vielmehr der Glaube vieler Männer, die Frau sei ihnen völlig untertan“, erklärt Bonino. „Nur wenige morden dann auch. Doch der Mechanismus ist immer der Gleiche.“ Die Männer, die gewalttätig werden, fühlten sich durch die zunehmende Selbstständigkeit der Frauen herabgesetzt. Sie sehen sich in ihrer Männlichkeit angegriffen. „Das Schlimmste daran ist, dass sie sich völlig im Recht fühlen, ,die Frau zu erziehen‘. Selbst diejenigen, die morden, haben keine moralischen Bedenken. Oft stellen sie sich völlig ruhig der Polizei“, sagt Bonino. Es gebe eine doppelte Moral, die eigene und die öffentliche.

Das machistische Gedankengut prägt weite Teile der Bevölkerung: So zeigt eine jüngst veröffentlichte Umfrage, dass jeder zehnte Spanier glaubt, „die Frau habe sicher etwas getan, um die Schläge verdient zu haben.“ Und 21 Prozent glauben gar, dass es den betroffenen Frauen „gefällt, misshandelt zu werden, dass sie dumm sind oder sich einen Vorteil davon versprechen, wenn sie die Gewalt aushalten. Wenn nicht, würden sie sich trennen.“

Montse ist empört über solche Ansichten. Sie weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, aus einer gewalttätigen Beziehung auszubrechen. „Am Anfang fragst du dich immer, was habe ich ihm getan? Wie kann ich mich ändern, damit so etwas nicht wieder passiert?“, erinnert sich Montse. Heute weiß sie, dass fast alle misshandelten Frauen dasselbe durchmachen. „Die Gewalt ist zyklisch“, berichtet sie. In einer ersten Phase stauen sich die Spannungen an. Dann kommt es zum Gewaltausbruch und danach zur Versöhnung. Und damit zu Hoffnung, die dann wieder enttäuscht wird. „Dieser Prozess wiederholt sich und du rutschst immer tiefer hinab.“ Zum Schluss verwies Montses Exmann sie unter der Woche der Wohnung und verlangte, dass sie am Wochenende zurückkam. Sie tat es. Der Grund: „Diese ungeheuerliche Angst um mein Leben und das meines Sohnes“, sagt Montse. Bis sie eines Tages bei einem Arztbesuch eine Sozialarbeiterin kennen lernte, die ihr half, die brutale Beziehung zu beenden.

„Die meisten Frauen brauchen mindestens fünf bis sechs Jahre, bevor sie ausbrechen“, berichtet die Familienanwältin Consuelo Abril. Sie gehört der Forschungsgruppe „Misshandlungen an Frauen“ an. Die Gruppe wurde 1977 – nur zwei Jahre nach dem Tod von Diktator Francisco Franco – von Frauen gegründet, die beruflich immer wieder mit Misshandelten zu tun hatten – Anwältinnen, Psychologinnen, Sozialarbeiterinnen und Ärztinnen. Sie initiierten das erste Notruftelefon und führten die ersten Studien über die Ausbreitung der Gewalt gegen Frauen durch.

Abril fordert ein integrales Gesetz gegen Misshandlung von Frauen. „Sobald eine Frau Misshandlungen zur Anzeige bringt, müssen alle Behörden automatisch ihre Arbeit koordinieren.“ Der Frau müssten alle Mittel zur Verfügung gestellt werden, vom Verteidiger bis zu einer neuen Wohnung, psychologischer und auch finanzieller Hilfe. Abril will, dass die Täter sofort von den Behörden verfolgt werden und ein Expertenteam ein Gutachten über ihre Gefährlichkeit erstellt. Bisher konnte in einigen Fällen selbst ein richterlicher Beschluss, der es den Männern verbietet, sich ihrer Exfrau mehr als 500 Meter zu nähern, Morde nicht verhindern.

Die neue sozialistische Regierung unter José Luis Rodríguez Zapatero scheint der Frauenbewegung Gehör zu schenken. Um die Misshandler besser zu überwachen, wurde die Koordination zwischen den verschiedenen Polizeieinheiten verstärkt. Gleichzeitig wird in den entsprechenden Ministerien eine neue Gesetzgebung ausgearbeitet, die Spezialgerichte vorsieht. Grundlage dafür sind die Ideen der Forschungsgruppe über ein integrales Gesetz.

Doch bis es so weit ist, wird Montse ihre Angst nicht verlieren. Denn sie ist ein typisches Opfer des bisherigen Kompetenzwirrwarrs. Während sie noch immer auf das Strafverfahren gegen ihren Exmann wartet, hat ihm eine Familienrichterin das Besuchsrecht bei ihrem gemeinsamen Kind zugesprochen. „Und das, obwohl die psychologischen Gutachten von einem extrem gewalttätigen Charakter sprechen“, sagt Montse. Jetzt muss sie den Kleinen einmal im Monat zum überwachten Besuch bringen. „Ich habe Angst, dass er eines Tages herausfindet, wo wir wohnen, und seine Drohungen wahrmacht“, sagt Montse mit gedämpfter Stimme.