FEINE UNTERSCHIEDE – IM ZUWANDERUNGSGESETZ IST NOCH ALLES MÖGLICH
: Streit über den Konsens

Einen Tag lang sah es so aus, als ob Regierung und Opposition das Zuwanderungsgesetz bereits endgültig unter Dach und Fach gebracht hätten. Diesen Eindruck wollten vor allem der Kanzler, sein Innenminister Otto Schily und die SPD vermitteln. Ihnen ist egal, was in dem Gesetz steht – Hauptsache, es gibt eins, das sie als Reform verkaufen können. Doch schon beginnt der Streit darüber, worauf man sich eigentlich geeinigt hat bei dem vermeintlich letzten Konsensgespräch der Spitzenpolitiker Merkel, Stoiber und Schröder im Kanzleramt. CSU-Verhandlungsführer Beckstein sagt, der Bund müsse nun Integrationskurse für alle Migranten zahlen, die in Deutschland leben. Schily meint, die vom Kanzler zugesagte Kostenübernahme gelte nur für Einwanderer, die künftig kommen. Ein feiner, aber kein kleiner Unterschied. So wird es in den nächsten Wochen weitergehen.

In diesem Fall dürfte die Lösung einfach sein: Es wird beim Minimalangebot für Neuankömmlinge bleiben. Wer, wie Beckstein, nicht dazu bereit ist, einen eigenen Beitrag für die „nachholende Integration“ zu leisten, kann den Bund nicht unter Druck setzen. An dem Integrationsangebot beziehungsweise seinem Fehlen wird das Gesetz also kaum scheitern. Anders sieht es aus, sobald es um Themen geht, die zwischen Union und Grünen umstritten sind – bei denen es nicht ums Geld, sondern inhaltlich ums Kleingedruckte geht.

Das Papier, das als Einigungsergebnis gilt, ist ein typischer Kompromiss, bei dem keineswegs nur die Grünen, sondern auch die Union Abstriche machen musste. Doch an vielen Punkten ist es vage. So vage, dass vielen schwant, bei den Abschlussgesprächen zwischen Schily und der Union könnten weitere Verschärfungen herauskommen. Diese Sorge ist ebenso berechtigt wie Mitleid erregend. In dem grünen Misstrauen gegen Schily drückt sich eine Mutlosigkeit aus, die kaum zu glauben – und für eine Regierungspartei mehr als peinlich ist. Wer hindert die Grünen daran, am Ende Nein zu sagen, wenn Schily ihnen einen unzumutbaren Gesetzestext hinknallt? Nur die Angst vor der eigenen Courage zu einer Koalitionskrise. Wer sich davor fürchtet, sorgt sich zu Recht um die eigene Bedeutungslosigkeit. LUKAS WALLRAFF