: Erinnerungsvermögen schwindet
Grüne „Flusskonferenz“ in Dresden endet mit hehren Worten, aber ratlos gegenüber vollendeten Wiederaufbausünden. Nach dem Jahrhundert-Hochwasser will Umweltminister Jürgen Trittin die Überschwemmungsgebiete ausweisen lassen
aus Dresden MICHAEL BARTSCH
Die Bündnisgrünen blieben bei der Dresdner Flusskonferenz am Sonnabend weitgehend unter sich. Mehr als eine milde Kontroverse mit Staatssekretär Tilo Braune vom Bundesverkehrsministerium um Sinn oder Unsinn der Binnenschifffahrt ließ das konsensuale immergrüne Flussthema nicht zu. Viel konkreter wurden die mehr als 200 Teilnehmer aus ganz Deutschland im Dresdner Kulturpalast auch nicht. Ihre „Dresdner Erklärung“ wiederholt im Grunde bekannte allgemeine Positionen: kein Neubau in Überschwemmungsgebieten, keine Versiegelung von Landschaften, dafür Renaturierung und flussangepasste Schifffahrt. Zu einer praxisnahen Analyse der Wiederaufbausünden oder der kleinen Erfolge in den vorjährigen Flutgebieten reichte es nicht.
Dabei hätte ein Bonmot von Bundesumweltminister Jürgen Trittin den besten Einstieg für eine konkrete Auseinandersetzung liefern können: „Bei jedem Hochwasser ist die Einsicht groß – aber sie sinkt fast so schnell wie der Hochwasserspiegel.“ Trittin blieb es vorbehalten, immerhin gesetzgeberische Aktivitäten aus seinem Hause anzukündigen. Wo die Kommunen im Standortwettbewerb das Flutgedächtnis leicht verlässt, müsse der Bund eingreifen, erklärte der Bundesumweltminister.
Auf der Basis eines hundertjährigen statistischen Hochwassers sollen jetzt überall Überschwemmungsgebiete ausgewiesen werden. In Sachsen geschieht das bereits. In diesen Gebieten darf künftig nicht mehr neu gebaut werden. Nach solch strengen Maßstäben könnte übrigens auch die Leipziger Planung von Olympiabauten an der Elsteraue Probleme bekommen.
Darüber hinaus soll eine zweite Kategorie der überschwem-mungsgefährdeten Gebiete beispielsweise hinter Deichen ausgewiesen werden. Deiche sollten nach Möglichkeit rückverlagert werden, eine Teilforderung im Rahmen einer allgemeinen Schadensminderungspflicht, die synonym für Renaturierung stehen könnte. Landwirtschaft soll hier stark eingeschränkt bleiben. Außerdem sieht das Gesetzeskonzept abgestimmte Hochwasserschutzpläne, individuelle Vorsorgepflichten und bessere Wetterwarnungen vor.
Trittin verkniff sich einen Seitenhieb gegen den Deutschen Wetterdienst und ein Lob für Kachelmann nicht. Und fand mit der Polemik gegen die Eigenheimzulage als „Zersiedelungsprämie“ gleich einen hochwasserpräventiven Rechtfertigungsgrund für deren Abschaffung. Olaf Tschimpke als Präsident des Naturschutzbundes Nabu pflichtete ihm bei. Seinerseits attackierte er wiederum die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung – eine Bundesbehörde. Mit ihren 15.000 Angestellten hecke sie zur Selbstrechtfertigung solche unsinnigen Projekte wie den Elbe-Saale-Kanal aus. Bei sinkendem Frachtaufkommen, das sich ohnehin zu 80 Prozent auf den Rhein konzentriere, müsse mit jeder weiteren Kanalisierung von Flüssen endlich Schluss sein.
„Wir wissen, dass das Naturereignis Hochwasser nicht mit Sicherheit zu verhindern ist“, heißt es in der „Dresdner Erklärung“. Das hört man von den Regierungen betroffener Länder nicht anders. Es geht also um Wahrscheinlichkeiten und mögliche Schadensbegrenzung durch Korrektur menschlicher Kurzsichtigkeit. Die Flut im August 2002 mag nach dem Ausmaß der Schäden vielleicht ein Jahrtausendhochwasser gewesen sein. Der Abflussmenge nach aber war es auf Basis der bisherigen Statistik nur ein etwa 120-jähriges, gab der Dresdner Umweltamtsleiter Sebastian Korndörfer bekannt. Folglich müssen sich die Abflussverhältnisse dramatisch verschlechtert haben.
Die bisherige statistische Basis gerät nach der Flut und mit dem Klimawandel ebenfalls ins Wanken. Erwärmung und Zunahme von Naturkatastrophen belegte insbesondere der stellvertretende Bundestagsfraktionsvorsitzende Reinhard Loske eindrucksvoll. Für Zunahme von Extremwetterlagen und damit von Überschwemmungen ist der vermehrte Wasserdampf in der Atmosphäre verantwortlich. Lob fand auf der Konferenz das Beispiel der Absiedlung von Röderau-Süd aus der Elbaue bei Riesa. 50 Millionen kostet das – aber es gibt viele Röderaus in Sachsen.
Diese zentrale Frage der Entschädigungen und des Flächenerwerbs für Retentionsräume und Renaturierung von Flüssen blieb in Dresden völlig ausgeklammert. Trittin erwähnte aber den frischen EU-Beschluss zur Agrarwende, der mit Flächen- statt Ernteprämien künftig Grünlandnutzung durch Bauern begünstigt.
Eine Auseinandersetzung mit der Kommunalpolitik, die unbelehrbar den Status quo ante wiederherstellt, flackerte nur in einem der Foren kurz auf. Der sinnlose Kahlschlag sämtlicher Ufergehölze an den Erzgebirgsflüssen fand zumindest Erwähnung – verhindern konnten ihn die Grünen auch nicht.