Von innen zerfressen

Der Islamismus und westliche Totalitarismen:eine differenzierte Studie von Fouad Allam

Es hat sich in westlichen Publikationen über al-Qaida und den islamischen Fundamentalismus ein Grundmotiv längst durchgesetzt: die militanten Dschihadisten sind ein Phänomen der westlichen Moderne – auch wenn sie selbst glauben mögen, sie würden die frühislamische Tradition wieder beleben. Oft verliert sich dieses Argument aber in recht blassen Analogien. Ja, am Ende scheint fast kein Unterschied mehr zu sein zwischen kommunistischen Fantasien von der vollkommenen Gesellschaft, dem Totalitarismus der Nazis und Faschisten, dem Todestrip der RAF, dem maoistischen Hass auf den Liberalismus und Ussama Bin Ladens Schläferarmee.

Wer’s genauer wissen und den Sinn für Ambivalenzen nicht völlig verlieren will, dem sei Fouad Allams kleiner Band „Der Islam in einer globalen Welt“ empfohlen. Auch für Allam gründet der Islamismus auf dem Umstand, dass der „Islam und der Westen in ein und demselben globalen Dorf“ koexistieren. Die spezifische Form der Re-Islamisierung, die der militante Islamismus darstellt, sei selbst Produkt der Globalisierung. Die kulturellen Eigenarten und die Vielgestaltigkeit der realen islamischen Tradition werden von den Dschihadisten verworfen: Sie propagieren eine Einförmigkeit, „ein Einheitsdenken“, deren Kern „die Entgegensetzung von ,erlaubt‘ und ‚unerlaubt‘ ist“ und die den Anspruch stellt, zwischen Marseille und Jarkata die gleichen Ausdrucksformen zu verbreiten. In der Absicht, sich gegen den Westen zu wenden, verwestlicht sich diese Spielart des Islam. Der globale Protagonist „dieser Operation ist die Figur des islamischen Intellektuellen“.

Allam macht es sich nicht leicht: Einerseits beschreibt er, wie westliche antipositivistische Philosophien von islamischen Gelehrten, die meist im Westen studiert hatten, in den muslimischen Raum importiert wurden. In Anlehnung an Michel Foucaults „Ideenreportagen“ über die iranische Revolution führt er aber auch aus, wie eine neuartige Form einer „politischen Spiritualität“ entstehen konnte: „Die islamistischen Bewegungen sind nicht bloße politische Gruppen im herkömmlichen Wortsinn. Es sind Gruppen, bei denen eine starke Verbindung zwischen Mystik und Politik besteht.“

Im Ton essayistisch, vergisst Allam aber auch nicht die Fakten. Der Leser erfährt manches über die Bedeutung Ali Schariatis, eines der Vordenker der iranischen Revolution. Mehrere Seiten widmen sich den ideologischen Gründervätern des Islamismus, dem Pakistani Abdul al-Maududi und Sayyed Qutb, Chefdenker der ägyptischen Muslimbrüderschaft, der 1996 gehängt wurde. Vor allem er hat entscheidenden Einfluss auf die heutige Generation von Dschihadisten.

Tatsächlich ist, dies macht der Autor deutlich, der Islamismus ohne den Westen nicht vorstellbar, aber dieses Verhältnis ist kein einfaches, und der Islamismus ist auch nicht nur eine simple Spielart der westlichen Totalitarismen: „Der Gegensatz zwischen dem Islam und dem Westen“, schreibt Allam, „hat die muslimischen Gesellschaften während des ganzen 20. Jahrhunderts von innen heraus zerfressen, und er hat Ideologien und politische Theorien hervorgebracht, die dem historischen Unterlegenheitskomplex abhelfen wollten.“ Der Islamismus sei Produkt der ungesunden Fixierung einer Kohorte muslimischer Intellektueller auf den Westen. Sie nahmen Elemente des westlichen Antimodernismus auf, brachten ihn aber in eine eigene Form.

Allams kluges Büchlein vermag, allzu simple Thesen zu erschüttern, ohne dass das an der Brisanz der Diagnose etwas ändern würde. Hätte ein gewissenhafteres Lektorat die bisweilen holprigen Formulierungen geglättet und die häufig referierte Grundthese des Autors da und dort gestrichen, hätte es dem Buch gut getan. Nichtsdestoweniger ist Allam ein kulturtheoretischer Essay gelungen, der zum Besten der kaum mehr überschaubaren Literatur über dieses elektrisierende Phänomen unserer Zeit zählt. ROBERT MISIK

Fouad Allam: „Der Islam in einer globalen Welt“. Aus dem Italienischen von Karl Pichler. Wagenbach Verlag, Berlin 2004, 208 Seiten, 11,90 Euro