: In die Zukunft gestolpert
Vor 50 Jahren wurde die Siliziumsolarzelle erfunden. Im April 1954 stellten die Bell Laboratories eine „Solarbatterie“ vor. Die groß angelegte praktische Nutzung ließ aber noch eine Weile auf sich warten
VON JOCHEN SIEMER
„Die neuartige Vorrichtung, ein simpel aussehender Apparat aus Streifen von Silizium, einem der Hauptbestandteile von gewöhnlichem Sand, könnte den Beginn einer neuen Ära markieren, indem sie möglicherweise den Weg zur Verwirklichung eines der meistersehnten Menschheitsträume weist: die nahezu unbegrenzte Energie der Sonne in den Dienst der Zivilisation zu stellen.“ Die New York Times ließ es nicht an Pathos mangeln, als sie am 26. April 1954 über eine Erfindung berichtete, die am Tag zuvor von den Bell Telephone Laboratories vorgestellt worden war: die erste Siliziumsolarzelle.
Dabei hatten die Journalisten, die in die damals weltweit führende Technologieschmiede der noch recht jungen Halbleiterbranche eingeladen wurden, nicht viel Spektakuläres gesehen: eine kleine Drehscheibe, die bei Lichteinfall zu rotieren begann, ein Spielzeugriesenrad, das von der neuen „Solarbatterie“ angetrieben wurde. Und eine Demonstration auf dem Rasen vor dem Laborkomplex im amerikanischen Murray Hill, New Jersey, bei der Bell-Ingenieur D. E. Thomas die neue Erfindung in die Sonne hielt und ein paar Worte in das Mikrofon eines angeschlossenen tragbaren Senders sprach, die sein einige Meter entfernt postierter Kollege Morton Prince mit einem Empfänger abhörte. Von Energiemengen, mit denen sich Häuser oder gar die gesamte Menschheit versorgen ließen, konnte bei diesen Vorführungen keine Rede sein.
Die Erfinder hatten allerdings auch nicht vor, der konventionellen Energiewirtschaft Konkurrenz zu machen. Was sie suchten, war lediglich eine zuverlässige und kostengünstige Technik zur Stromversorgung von Telefonnetzen in entlegenen Gegenden. Die Umwandlung von Sonnenlicht in Strom war eine bereits gebräuchliche Technik, aber ihr Wirkungsgrad lag weit unter dem, was die Nutzung als Energiequelle erfordert hätte.
Die Experimente gehörten zu einem von den Bell Laboratories Anfang der 50er-Jahre aufgelegten Programm zur Erforschung von Halbleitern. Dem Chemiker Calvin S. Fuller und seinem Kollegen, dem Physiker Gerald L. Pearson, ging es vor allem um die Entwicklung von Gleichrichtern für Telefonstationen, weil das für diese Zwecke genutzte Selen nicht sonderlich effektiv war. Auch sollte die Eignung von Silizium als möglicher Ersatz für das bis dahin in Transistoren eingesetzte Germanium erprobt werden.
Auf Pearsons Arbeitstisch lag das Versuchsmaterial großflächig ausgebreitet, und eines Tages – im März 1953 – bemerkte er, dass bei Lichteinfall eine Spannung entstand. An diese Möglichkeit hatte bis dahin niemand gedacht. Pearsons erste Reaktion war offenbar leicht ungläubiges Staunen – jedenfalls berichtete dies später Morton Prince: „Er rief mich sofort in sein Labor, damit ich seine Beobachtung bestätigen und in seinem Protokoll gegenzeichnen konnte.“ So kam eher zufällig und von keinem der beteiligten Wissenschaftler vorausgesehen die für die spätere Entwicklung der Solarzelle entscheidende Entdeckung im wahrsten Sinne des Wortes ans Licht. Allerdings kümmerte sich das Management der Bell Laboratories nicht weiter darum.
Pearson und Fuller waren überzeugt, dass sie den Weg zu praktisch nutzbaren Wirkungsgraden bei der photovoltaischen Stromerzeugung gefunden hatten: „Silizium ist das Material, Diffusion ist der Prozess“, stellte Fuller fest. Im Oktober 1953 berichtete der Ingenieur Daryl M. Chapin, dass eine mit Phosphor dotierte Zelle mit einem Wirkungsgrad von 4 Prozent die ein halbes Jahr zuvor von Pearson entwickelte Technik um das Doppelte übertraf. Das mittlerweile dreiköpfige Team baute einen ersten Solargenerator mit einer Leistung von 0,1 Watt.
Danach gab es monatelang keine wesentliche Verbesserung. Die 4 Prozent schienen eine magische Grenze zu sein, und das stellte den Fortgang des Projekts in Frage. Chapin, Fuller und Pearson mussten ihrem Arbeitgeber natürlich regelmäßig berichten, ob ihr Projekt eines schönen Tages einmal einen praktischen Nutzen zeitigen könnte. Und dieser Nutzen hieß für die Firma Bell nach wie vor: Stromversorgung von Telefonnetzen. Für derlei Anwendungen aber musste eine Perspektive bestehen, die Solarzellen in hoher Stückzahl zu vertretbaren Kosten herstellen zu können. Und das wiederum bedeutete: Der Wirkungsgrad mussten steigen – ein Problem, das die Branche noch heute beschäftigt.
Erst im März 1954 sah sich Chapin in der Lage, „Design und Produktionstechnik, die zu Zellen mit 6 Milliwatt pro Quadratzentimeter führen“, dezidiert zu beschreiben. Damit waren 6 Prozent Wirkungsgrad erreicht. Zu dieser Zeit zeigte auch das Management der Bell Laboratories Interesse an den Ergebnissen. Dies lag nicht zuletzt an der Konkurrenz: Die Forschungslabors der Radio Corporation of America (RCA) hatten im Januar 1954 eine „Nuklearbatterie“ präsentiert. Die Bell-Entwicklung war aber wesentlich praktischer, weil sie auf überall verfügbares Sonnenlicht statt auf Nuklearstrahlung baute und auch tausendmal effektiver. Die bei RCA erzeugten Ströme dagegen bewegten sich im Bereich von Millionstel Watt.
Doch der von den euphorischen Journalisten vermutete „Beginn einer neuen Ära“ ließ auf sich warten. Über den Antrieb von Spielzeugriesenrädern kam man vorerst nicht allzu weit hinaus. Die Firma Bell startete ein Pilotprojekt in Georgia, die „Solarbatterien“ versorgten dort die Übertragungstechnik eines abgelegenen Telefonnetzes zuverlässig mit Strom. Für eine breite Anwendung waren die Kosten aber bei weitem zu hoch: Die ersten Solarzellen wurden in Handarbeit gefertigt, der Preis pro Watt lag beim etwa 1.000fachen der heutigen. Einzig die Raumfahrt hatte sofort Verwendung: Am 17. März 1958 startete mit „Vanguard“ der erste von Solarzellen versorgte Satellit.
Warum Photovoltaik nicht nur für Satelliten die ideale Energieversorgung darstellt, hatten schon die Autoren der Bell-Presseerklärung vom 25. April 1954 erkannt: „Beim Prozess der Energieumwandlung wird nichts verbraucht oder zerstört, und es gibt keine beweglichen Teile, sodass die Bell-Solarbatterie theoretisch unendlich lange leben sollte.“