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Archiv-Artikel

„Ich mach, was ich will“

Alemannia Aachen hat per Annonce einen Sportdirektor gesucht – und den Extorhüter Jörg Schmadtke gefunden. Der hat maßgeblich dabei geholfen, den Klub vor der Insolvenz zu retten. Heute kickt Alemannia im DFB-Pokal-Finale gegen Bremen

INTERVIEW BERND MÜLLENDER

taz: Herr Schmadtke, können Sie eigentlich lachen?

Jörg Schmadtke: Nee. (lacht) Doch, kann ich, bin ja Rheinländer.

Man sieht es nur nie. Unmittelbar nach dem 2:1 gegen den FC Bayern sind alle herumgehopst vor Glück, und Sie haben gedankenversunken ein paar Stücke Grasnarbe festgetreten.

Ich weiß ja, dass weitere Spiele kommen. Also muss der Platz in Ordnung sein. Nein, ich habe Freude noch nie so extrovertiert gezeigt. Ich hab die Emotionen mehr in mir. Und man muss im Fußball aufpassen: Wenn es heute Jubelbilder von dir gibt, wird dir das morgen hämisch um die Ohren gehauen.

Sind wir bei Alemannia eigentlich Zeugen eines Fußballwunders? Der Club war, als Sie hier anfingen vor zweieinhalb Jahren, komplett am Boden und jetzt: Die sensationellen Pokalsiege, am Samstag das Finale, Uefa-Cup nächstes Jahr und um ein Haar noch der Aufstieg.

Das ist kein Wunder. Wir haben halt klaglos und schwer gearbeitet. Und jetzt werden wir dafür belohnt, auch die Zuschauer für all die Enttäuschungen und Entbehrungen. Vor zwei Jahren sind die mit der Sammelbüchse durch die Stadt gegangen.

Damals stand der Club mit 4,5 Millionen Euro Schulden hauchdünn vor der Insolvenz, es gab Schwarzgelddeals, Steuerbetrug, die Polizei in der Geschäftsstelle, Ihr Vorgänger saß wochenlang in U-Haft …

… und der neue Präsident ist sofort wieder zurückgetreten, der Club fast abgestiegen. Da kam alles zusammen. Aber wenn man ganz unten steht, kann es nur nach oben gehen.

Sie wurden zuerst viel belacht. Über eine Anzeige im „kicker“ hatte Alemannia einen Sportdirektor gesucht.

Ja, das war absolut unüblich. Offen hat zwar keiner gelacht, aber es wurde sehr belächelt.

Und kaum waren Sie hier, saßen Sie nach zehn Tagen im Notvorstand des Vereins. Haben Sie da nicht gedacht, in welchem Chaos bin ich hier gelandet, nichts wie weg?

Wo bin ich hier, hab ich schon gedacht. Aber hinschmeißen wollte ich nicht. Diese brisante Situation war eine Herausforderung, es war ja mein erster Job als Sportdirektor. Da hab ich unheimlich gelernt; als Erstes, wie man Spieler aus der U-Haft holt. [Mark Rudan, Schwarzgeldbetrüger in der „Kofferaffäre“, Anmerk. d. Red.] Das weiß sicher kaum wer von meinen Kollegen. Oder ich komm hier ins Clubhaus, da steht der Staatsanwalt vor mir: Wo wollen Sie hin? Ich arbeite hier. Wer sind Sie? Der Sportdirektor, ich möchte in mein Büro.

Viele in Aachen sagen, als ehemaliger Torwart haben Sie wohl goldene Händchen bei Spielerverpflichtungen. Namenlose und ablösefreie Leute aus der 3. Liga werden Leistungsträger in Serie. Wie machen Sie das?

Auch als Torwart muss man ein gutes Auge für Situationen haben. Ich spüre Dinge im Gespräch, jenseits von banalen fußballerischen Fähigkeiten: Warum will einer hierher, wie tickt der, passt der zu den anderen? Ich hab auch schon Leute abgelehnt, die ich sportlich wollte, aber nach dem Gespräch – na ja. Ich kann ganz gut zuhören, was nicht für viele gilt in diesem Geschäft. Jeder Spieler hat einen besonderen Antrieb. Den muss man finden.

Zum Beispiel Erik Meijer?

Ein einfaches, aber gutes Beispiel. Der wollte mit 34 nach Hause. [Maastricht, 35 km entfernt, Anmerk. d. Red.] Seine Frau hat gesagt, ich zieh nicht noch mal woanders hin. Als Meijer seine Zahlen auf den Tisch gelegt hat, habe ich ihn etwas komisch angeguckt. Aber wir haben uns geeinigt. Es muss beim Geld auch in der Mannschaft untereinander stimmen. Wir haben keinen, der in Mailand shoppen geht und keinen, der zu Woolworth muss.

Manche nennen Sie arrogant. Und Sie polarisieren gern, schon damals, Mitte der 80er, mit Ihrem grellen lila-gelben Torwarttrikot.

Ich war außer Sepp Maier der Erste mit so einem Trikot. Da kann man schon anecken. Aber ich mach, was ich will, wenn ich davon überzeugt bin. Dann gehe ich auch weit und vertrete das sehr hartnäckig. Mit Argumenten kann man mich immer überzeugen, aber besser als meine müssen sie schon sein.

Nun gilt die Drecksbranche Fußball mit ihren vielen Tricksereien nicht eben als Hort gepflegten gedanklichen Austauschs.

Drecksbranche – och nee. Fußball ist ein Produkt und ein Spiegelbild der Gesellschaft. Manche Nuance ist vielleicht ausgeprägter, und manchmal wird auch mit Halbwahrheiten gearbeitet.

Was bedeutet für Alemannia das Pokalfinale? Der Uefa-Cup ist schließlich sicher; im Prinzip geht es um nichts.

Um nichts stimmt ja nicht! Man kann sich Respekt verschaffen. Das Endspiel ist für alle – Fans wie Spieler – noch mal ein Zeichen: Mensch, was war das für eine einmalige Saison. Genießt das Ereignis! Freut euch, dass ihr bei dem Fest dabei sein dürft, als Wiedergutmachung für all die schlimmen Sachen hier. Außerdem war der Pokal wirtschaftlich extrem wichtig. Es bleibt schon jetzt ein dickes, fettes Plus. Wir werden jetzt international wahrgenommen. Das alles ist doch toll. Und wir haben in der Liga immer oben gestanden, nur am Ende waren einige mit Betonsocken unterwegs.

Sie sagen von sich: „Ich bin ein guter Manager.“ Und: „Ich wäre ein hervorragender Trainer.“ Haben Sie auch Fehler gemacht?

Natürlich. Sicher war da auch der eine oder andere Spieler, der nicht so toll war.

Und diese Woche? Erst der dämlich verpasste Aufstieg – und dann die Sache mit Kapitän Kalla Pflipsen. Der nennt es „stillos“ und „die größte Enttäuschung meiner Karriere“, weil er aus der Zeitung erfahren hat, dass Alemannia nicht mehr mit ihm plant. Der Haussegen hängt dramatisch schief!

Der Fall Pflipsen ist denkbar schlecht gelaufen, alles Timing kaputtgegangen. Da muss ich mich bespucken lassen und mir Stillosigkeit vorwerfen. Ich trage die Verantwortung für die Indiskretionen im Verein, und ich habe mich bei Pflipsen entschuldigt. Natürlich hat das alles Auswirkungen auf die Stimmung, ganz klar. Bei mir hinterlässt das Theater tiefere Wunden als der Nichtaufstieg.

Haben Sie da nicht Angst, gegen diese Bremer ne richtige Klatsche zu kriegen?

Nein. Für Berlin sind alle Profi genug, das wegzustecken. Und egal wie es ausgeht, ich wünsche mir ein Finale, wo nachher alle nach Hause gehen und sagen: Toll, dass ich dabei war. Und dann kommt eine weitere schöne Episode: der Uefa-Cup. Manche finden es ja nicht gut, dass ein Zweitligist die „deutschen Farben“ vertreten soll. Der VfL Bochum hat einen Antrag gestellt, die Regularien für solche Fälle demnächst zu ändern.

Wissen Sie eigentlich, was genau Alemannia bedeutet?

Ja, ähh, nein. Das sind so Dinge …

Es wusste keiner hier im Club. Es heißt einfach Deutschland.

Wirklich? Hab ich was gelernt.

Nicht dass nachher niemand weiß, dass Deutschland aus Aachen deutscher Pokalsieger ist.

Warten wir’s ab (lacht).