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Archiv-Artikel

Das Ei geht auf. Der Stelzenschlumpf ist da

Das ist der magische Moment. Die Leidenschaft. Die schönste Überraschung, die das Leben für Bianca und Gregor bereit hält. Das Paar sammelt Überraschungseier. Drei bis vier Stunden. Jeden Tag. Nur in der Sommerpause nicht. Und das, obwohl die Zeiten schlechter geworden sind. Auch in der Schokoeierwelt

VON NADJA KLINGER

Das Leben hält Überraschungen bereit. Eine nach der anderen, holterdiepolter!, rückt es mit den Überraschungen heraus. Oder es lässt einen ewig darauf warten, dass mal irgendwas passiert.

Für Gregor hatte das Leben eine Lehrstelle bei den Berliner Wasserwerken in petto. Nach zwei Jahren schmiss der Knabe sie hin und ging zur Bundeswehr. Daraufhin ließ das Leben den Wasserspiegel der Oder steigen und das Land überfluten. Den Sommer 1997 verbrachte Soldat Gregor Sandsäcke schleppend und Dreck schaufelnd im Hochwassergebiet. Im Herbst saß er in Cottbus in einer Bar. Da saß am Feierabend auch die Bürofachkraft Bianca. Was für eine Überraschung! Sie sind bald zusammengezogen. Sie waren Anfang 20.

Angesichts dieses Alters war es überraschend, dass sie beide etliche Überraschungseierfiguren besaßen. Weil sie süß sind, verteidigte sich Bianca. Sie kramte in Gregors Sammlung. Sie bekam die Serie „Happy Hippos im Hollywood Fever“ in die Finger und sah, dass sogar Humphrey Heartbreaker dabei war. Gib ihn mir!, bettelte sie. Nur den! Gregor wusste sich nicht zu verteidigen. Nimm schon!, brummte er.

Ihre Sammlungen seien belanglos gewesen, sagt er heute. Beiden besaßen weder den Stelzenschlumpf noch den Eierlaufschlumpf, die wirklichen Raritäten aus den ersten Serien vom Anfang der 80er-Jahre. Raritäten sind Figuren mit Zubehörteilen. Diese Teile gehen schnell verloren. Laut Sammlerkatalog für Überraschungseierfiguren ist der Stelzenschlumpf 900 Euro wert. Sein Handelswert liegt bei 400. Der Hüpfballschlumpf hingegen bringt nur 10 Euro. Der Hausdrachen aus der Bastelserie „Ritterfest von Freudenberg“ hat einen Wert von 1.300 Euro.

Pro Jahr erscheinen drei bis vier Serien in deutschen Kinderüberraschungseiern von Ferrero. Zwerge, Frösche, Nilpferde, Drachen stecken in Plastikdöschen, umhüllt von Schokolade. In jedem Land Europas erscheinen andere Kollektionen. Auch in Kanada, Südamerika, Asien, Australien kann man die Eier kaufen. Nur reisen können Bianca und Gregor dorthin nicht. Wie das Leben so spielt. Die Auftragslage für den Fliesenleger am Bau ist selten rosig. Das Einkommen der Bürofachfrau nicht üppig.

Nachdem Bianca einst von Gregor Humphrey Heartbreaker bekommen hatte, haben sie ihre beiden Sammlungen doch zu einer gemacht. Bianca wollte, dass sie gemeinsam sammeln, und zwar richtig. Aber Gregor war das zu kindisch. Konnte ein Mann mit einer Frau zusammenziehen und gleichzeitig auf Überraschungseierfiguren stehen? Ja, doch. „Sammler und Jäger zu sein, ist ein Urinstinkt“, sagt er heute. Drei bis vier Stunden täglich folgt er diesem Trieb. Sortiert Figuren, sieht sich unter den Angeboten im Internet um, organisiert Tauschgeschäfte, verpackt Sammlungen, verschickt sie. Bianca hingegen hat den Überblick verloren. Besser gesagt, sie blickt auf das, was unbedingt beachtet werden muss: das Geld. Alles, was Gregor für Eier und Figuren ausgeben will, muss sie genehmigen. So haben sie es einst vereinbart, heute heißt das: Sie muss ihn bremsen. „200 Euro im Monat, mehr geht nicht“, sagt er. Sie sagt: „200 Euro können wir uns nicht leisten.“

Seit ein paar Jahren leben sie in einer Wohnung im Märkischen Viertel, in einem mehrstöckigen Betonklotz mit dicken Außenwänden und kleinen Fenstern. Man sieht ihm das Leben nicht an. Oder man sieht dem Leben in diesem Haus an, dass es kein ausschweifend überraschendes ist. Leute, die nichts zu tun haben, gibt’s hier. Auch solche, die bei der Bank arbeiten. Aber niemand wohne hier, sagen Gregor und Bianca, der wirklich viel Geld habe. Reist jemand aus ihrem Umfeld in die Ferne, lassen sie sich Überraschungseier mitbringen.

Gregor raucht ausschweifend. Er trägt Kinnbärtchen und hat ein Piercing im Gesicht. Er sieht aus, als müsste er in Lederkluft vor einem schweren Motorrad fotografiert werden. Jedoch baut er sich vor seinen akribisch aufgeräumten Vitrinen mit den kleinen Figuren auf. Bianca raucht auch ab und zu eine. Sie geht jeden Tag arbeiten und am Wochenende mit Gregor auf Flohmärkte. „In dreckigen Kisten nach Figuren wühlen“, sagt sie. Richtig bei der Sache ist sie nicht mehr. Gejagt haben stets die Männer. Aber Frauen wollen sich auch irgendwie vervollständigen. „Der Moment, wo das Ei aufgeht und die Figur zum Vorschein kommt, ist schön“, sagt Bianca. Ewig hat Gregor nach dem Stelzenschlumpf gesucht. Voriges Jahr hat er ihn erobert. Für 152 Euro! Was hat das Leben zu bieten gegen Überraschungen, die man sich selbst bereitet?

Das Leben mischt sich ein. In die Angelegenheiten von Gregor und Bianca, in die kleine Welt der Schokoeier. Auch hier gibt es das Internet und seit es das gibt, ist einiges anders geworden. Das Internet treibt Handel und Tauschgeschäfte an. Man bekommt Informationen darüber, wie viel Gramm ein Ei mit welcher Figur wiegt. Also gehen Gregor und Bianca mit der Taschenwaage einkaufen.

Sie suchen die Supermärkte auf, in denen die Eier gerade im Angebot sind. Manchmal müssen sie weit gehen. Sie nehmen ganze Thekendisplays mit. Zu Hause setzen sie sich an den Tisch und teilen die Eier auf. Bianca schaut in jedes gleich rein. Gregor packt aus, entfernt die Schokolade, reiht die Plastikdöschen auf und öffnet schnell. Das Internet verführt dazu, Fälschungen in Umlauf zu bringen. Figuren werden bemalt, Zubehörteile kopiert. Schließlich hilft das Internet denen, die den Schaden haben. Mit Hilfe von www.ueeidieter.de hat Gregor seine Sammlung kontrolliert. 15 Fälschungen waren dabei, mit ungeübtem Auge kaum erkennbar, das war der Hammer! Er hat sie aus der Vitrine geholt, konnte sie keine Minute länger zwischen den anderen Figuren ertragen. Natürlich kamen sie nicht in den Müll, sondern ins Schubfach. Sammler ziehen gefährliche Dinge gewissenhaft aus dem Verkehr.

Für die übelsten Fälschungen hat Gregor eine extra Vitrine. Er hat sich spezialisiert, bietet einen Service an, ist jetzt so was wie ein Fachmann. Sammler zeigen ihm ihre Figuren, und er kontrolliert. Er sieht jeden Fehler. Er lebt gefährlich. Auch in der Eierwelt stören die Ehrlichen das Geschäft. Es wird Rufmord betrieben. Ein Päckchen mit Figuren, die man ihm vertrauensvoll zusandte, kam geöffnet und leer bei Gregor an. Im Internet wurde behauptet, er hätte sich der Figuren bedient. Auf solche Weise ist es schon gelungen, unliebsame Sammler auszuschalten. Kürzlich hat ein Mann aus Österreich die Segel gestrichen und all seine Figuren verscherbelt. Niemand wollte mehr mit ihm tauschen, nachdem man ihn in Verruf gebracht hatte.

Gregor indes kämpft. Es geht ums Prinzip, um die Sache. Ums Große und Ganze. Bei ebay hat er Figuren ersteigert, die gefälscht waren. Der Willi von „Biene Maja“ hatte nicht die richtige Fühlerhaube, und die Flügel waren auch falsch. Gregor hat Strafanzeige gestellt, einen Anwalt eingeschaltet, der Fall ging über die Kripo zur Staatsanwaltschaft. Als das Verfahren eingestellt wurde, hat er einen zivilrechtlichen Streit geführt. Jetzt zieht der Gerichtsvollzieher beim Verkäufer den Schadenersatz ein.

Es gibt viel zu verbessern in der Überraschungseierwelt. Beispielsweise hauen die Auslandskontakte nicht hin. Verständigungsprobleme. In Frankreich kennen Gregor und Bianca einen Sammler. Aber sie spricht nur Deutsch. Er kann Schulenglisch. „Wenn ich sage, ich will etwas OVP, dann versteht der Franzose nicht, dass ich eine original verpackte Sonderpackung haben will.“ Zum Glück gibt es einen zweiten Franzosen, der kann deutsche Worte im Überraschungseierbereich. Er war schon im Märkischen Viertel, hat bei Gregor und Bianca übernachtet. Die Beziehungen zu Dänemark laufen auch nicht so, Italien ist ebenfalls ein Sprachproblem. Gregor hat was mit Japan angekurbelt. Bislang meldet sich der Kontaktmann nicht.

„Das Gelbe vom Ei“ heißt eine Ausstellung, die seit zwei Monaten im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt am Main zu sehen ist. Gefeiert werden 30 Jahre Überraschungseier. Jemand hat Gregor einen Katalog mitgebracht. „Zum Glück bin ich nicht selbst hingereist, denn es war kaum Wertvolles ausgestellt. Da standen Figuren ohne Zubehör. Fälschungen waren auch dabei“, sagt er. „Das sehe ich mit einem einzigen Blick auf die Fotografien.“

Im Grunde werden Gregor und Bianca nicht für voll genommen. Man belächelt ihre Leidenschaft. Erst wenn jemand die Preise der Figuren erfährt, macht er ein ernstes Gesicht. Was Geld bringt, kann so doof nicht sein. Auch das Sozialamt nimmt keine Notiz von den Vitrinen. Jedoch muss man den Katalog vor den Sachbearbeiterinnen verstecken, das haben Gregor verschiedene Leute geraten. Etwa 3.000 Euro wäre die Sammlung bei ihm zu Hause wert, wenn er sie mit einem Schlag verkaufen würde. Gäben er Stück für Stück ab, könnten er auf 10.000 Euro kommen.

Das Einzige, was nicht überraschend am Leben ist, ist, dass die Zeiten sich ändern. Früher konnte man pro Thekendisplay mit einer bestimmten Erfolgsquote rechnen. „In jedem siebten Ei … hieß es mal“, sagt Gregor. „Das kannst du heute vergessen“, sagt Bianca. Schlechter sind die Zeiten geworden.

Und komisch. Der Trend geht zu Steckfiguren, Ramschserien, Cybertop. „Hässliches Zeug“, sagt Gregor. Außerdem wird überall Schnickschnack in Lebensmittel verpackt und auf den Markt geschüttet. Nestlé, Dr. Oetker, Haribo, Nutella, Leibnitz, Onken haben Ferrero-Figuren nachgemacht. Erdal hat den Erdal-Frosch erfunden. Ist Leidenschaft beliebig? Sind Gregor und Bianca Opfer der Marketing-Strategien? An allen Figuren, die zu haben sind, fehlen ihnen noch zwei deutsche und ein Auslandssatz: die zweite „Snoopy“-Serie. Die gab es nur in Japan.

Zum Glück machen Überraschungseier Sommerpause. Bis dahin müssen die aktuellen Serien vollständig sein. Dann gibt es hoffentlich ein paar warme, erholsame Wochenenden. Dann ist wieder Herbst. Ferrero hält Gregor und Bianca auf Trab. Zu Weihnachten überraschen sie sich gegenseitig nicht. Sie haben eine gemeinsame Kasse, und da ist nicht viel drin. „Ich schenke ihr mal ’ne DVD“, sagt Gregor. Die legen sie ein, wenn er am Computer fertig ist. Ein Film ist nicht das Gelbe vom Ei, aber sie haben auch gemeinsam was davon.