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Archiv-Artikel

Auf dem Seeweg nach London

Ein Kurztrip mit Kreuzfahrtcharme in die britische Hauptstadt von Cuxhaven nach Harwich. Entschleunigter Stadturlaub: Und im London Eye, dem zur Jahrtausendwende ans Themse-Ufer geklotzten Riesenriesenrad, liegt dem Besucher London zu Füßen

von STEFFEN GRIMBERG

Am Abend gibt es unter den Mitreisenden Streit: War das nun der Leuchtturm von Norderney oder Helgoland, der da in der Ferne blinkt? Egal, beim Morgentermin mit dem Kapitän auf der Brücke wird sich das Rätsel lösen. Bis dahin genießen wir lieber den Sonnenuntergang. Mit dem Schiff von Deutschland in die Metropole London zu reisen, noch dazu auf der Strecke Cuxhafen–Harwich, ist Entschleunigung pur.

Jeden zweiten Tag fährt die „Duchess of Scandinavia“ über die Nordsee, spätnachmittags geht es los, zur selbst für Morgenmuffel vertretbaren Zeit am späten Vormittag des nächsten Tages hat man wieder festen Boden unter den Füßen. Nightliner heißt das Konzept der dänischen Reederei DFDS Seaways, und an Bord kommt tatsächlich etwas von Kreuzfahrtcharme auf. Allerdings ohne das man sich dazu in Frack und Fummel werfen müsste. Die Reise atmet grundsoliden Mittelklasse-Charme. In den Kabinen schläft es sich doppelstöckig, und beim abendlichen Buffetdinner triumphiert der „All you can eat“-Aspekt knapp über die Kulinarik.

Drei volle Tage in der britischen Hauptstadt bleiben bei insgesamt fünf Reisetagen übrig. Und zwei schockierende Beobachtungen: Das kontinentale Frühstück ist drauf und dran, das gute alte, fettig-englische mit Speck, Würstchen und Baked Beans zu verdrängen. Und es gibt ein London südlich der Themse. Ein höchst Sehenswertes sogar.

Wo früher der Hafen der Millionenstadt war, regiert auch heute noch der schnöde Mammon. Hier legen aber nur noch kleine Personenfähren an: Docklands und sein Zentrum, Canary Wharf, beherbergt heute zehntausende Jobs im Finanz-, Medien- und Dienstleistungssektor.

Ab Anfang der 1980er-Jahre hochgezogen und erst zu zwei Dritteln bebaut, ist es schon heute eine beachtliche Ansammlung hoher Häuser. Doch rund um das neue Museum In Docklands (MID) hat sich am alten West India Quay ein Teil der historischen Speicher-Bebauung gehalten. Und das sehenswerte MID liefert den Rest Seefahrerromantik hinterher, ohne die Geschichte von Niedergang und Verlegung des Londoner Hafens ab den 1970er-Jahren mit all ihren politischen Verwerfungen und sozialen Folgen auszuklammern.

Ein paar Kilometer stromaufwärts in Höhe der Tower Bridge das neue Rathaus. Die erst 2002 eingeweihte City Hall ist ein vollökologisches Glasei mit spektakulärer Aussicht aus der obersten Etage. Von der City Hall schlendert es sich bequem weiter zur Tate Modern, der in einem ehemaligen Kraftwerk untergebrachten Modernen Abteilung der großartigen Galerie (www.tate.org/modern). Die Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron haben die alte Battersea Power Station von Sir Giles Gilbert Scott perfekt zur Hülle für eine der bekanntesten Kunstsammlungen Europas umgestaltet. Selbst wer sich nur der Architektur wegen umsehen will, sollte hineingehen, schließlich ist der Eintritt frei

Was vom London Eye, dem zur Jahrtausendwende ans Themse-Ufer geklotzten Riesenriesenrad nicht eben sagen kann. Doch bevor man sich über Sinn und Unsinn des derzeit größten Rundumfahrstuhls der Welt ergeht, ist es Abend geworden. Aus der Kabine des Eye linst man über die große Stadt und in den Sonnenuntergang, bis London zu blinken beginnt. Der Leuchtturm war übrigens der von Borkum.