: Peking setzt Hongkong unter Druck
Hinter dem dritten Rücktritt eines Radiomoderators in Hongkong in wenigen Wochen steckt die Angst KP-naher Kräfte vor demokratischen Wahlen in der früheren Kronkolonie. Hongkongs Meinungsfreiheit ist in Gefahr
PEKING taz ■ Allen Lee ist bereits der dritte Hongkonger Radiomoderator, der in den letzten Wochen seinen Job aufgab, weil er angeblich belästigt oder bedroht wurde. Von wem? Keiner wusste es genau, bis Lee vor dem Hongkonger Legislativrat am Donnerstag den Vorhang lüftete: „Freunde aus China“ mit Verbindungen zur Staatsspitze und „ehemalige Regierungsbeamte“ hätten ihn, den stadtbekannten Konservativen und früheren Abgeordneten im Pekinger Volkskongress, bedrängt, seine demokratischen Radiotöne zu zähmen. Ausgerechnet Lee, der jahrelang einer KP-treuen Partei von Wirtschaftslobbyisten vorstand.
Viele Hongkonger Demokraten sehen ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Lees Stellungnahme lege nahe, dass „eine Kampagne im Gange ist, die vor den Wahlen zum Legislativrat [im September; d. R.] Kritik unterdrücken will“, mutmaßte gestern die Hongkonger Tageszeitung South China Morning Post. Der Verdacht ist außergewöhnlich. Denn obwohl bereits seit Hongkongs Rückgabe an China vor sieben Jahren in vielen Oppositionszirkeln erwartet wurde, dass sich die Regierung in Peking nicht lange an die Meinungsfreiheit in der Stadt halten würde, gab es für die bösen Vermutungen bislang kaum Beweise. Im Gegenteil: Als etwa vor einigen Jahren in China die Falun-Gong-Sekte verboten wurde, durften ihre Anhänger in der Hafenstadt unbehelligt weitermeditieren. Auch blieb die Medienlandschaft pluralistisch: Die chinesischsprachige Apple Daily etwa liegt bis heute fest auf pekingkritischem Kurs. Umso auffallender sind die jüngsten Ereignisse. Die Radiosendungen von Lee und seinem Vorgänger Albert Cheng, der vor Wochen nach Drohanrufen aufgab, gehörten wegen ihrer offen geäußerten Regierungskritik zu den populärsten Medienangeboten. Insofern ist der Rücktritt der Moderatoren kein Nebenschauplatz. Ohnehin haben sich die politischen Fronten in der Stadt verhärtet. Noch im vergangenen Juli war eine Reihe von Großdemonstrationen ausdrücklich nicht gegen Peking, sondern gegen die eigene Stadtregierung gerichtet, die ein drakonisches Sicherheitsgesetz durchsetzen wollte.
Doch seither stellte sich Peking gegenüber der Kritik der Öffentlichkeit taub und vor den unbeliebten Stadtchef Tung Chee-hwa. Mehr noch: Im Frühjahr verabschiedete der Volkskongress in Peking eine Neuauslegung des Hongkonger Grundgesetzes, die eine demokratische Wahl des Stadtchefs bis 2008 ausschließt. Den selbstbewussten Hongkongern musste das wie ein Maulkorb erscheinen. Denn gerade Tungs Rücktritt hatten sie in Umfragen und Demonstrationen gefordert – nun aber wurde ihnen auch die Wahl seines Nachfolgers versagt.
Das kostet Peking in Hongkong viel Sympathie. „Chinas Interpretation unseres Grundgesetzes unterdrückt die öffentliche Meinung“, hieß es kürzlich auf dem Schild eines Hongkonger Demonstranten. Wegen der anstehenden Wahlen zum Legislativrat, bei denen die Hälfte der Abgeordneten demokratisch gewählt und die andere Hälfte von so genannten repräsentativen Gruppen KP-treu bestimmt wird, spitzt sich der politische Konflikt weiter zu.
In der Tat besteht für die KP-treuen Kräfte die Gefahr, dass sie fast alle demokratisch gewählten Sitze verlieren und dann nur noch über eine Lobbymehrheit im Rat verfügen. So erklärt sich Moderator Lee den Druck auf ihn mit der Angst der kommunistischen Lokalhonoratioren vor der bevorstehenden Wahlniederlage. GEORG BLUME
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