Angst in den Ausguss spülen

Sich das Ungeheuer der Liebe vom Leib halten: „Gesäubert“ von Sarah Kane in der Schaubühne hoch konzentriert. Dennoch bleibt die Wucht ihrer Sprache unerreicht

Was tun, wenn’s brennt? Unter der Haut. Im Herzen. Zwischen den Beinen. Was tun, wenn die Seele in den Flammen hoffnungsloser Verzweiflung aufzugehen droht? Die Sehnsucht nach Nähe umschlägt in den eisernen Willen zur rituellen (Selbst-)Zerfleischung? Wenn dabei zugleich der Glaube an Himmel und Hölle den Bach runtergeht? Alles für die Liebe, für die aufrichtige und bedingungslose Liebe. Dann hilft nur: nachspülen.

Wasser zumindest gibt es in Benedict Andrews Inszenierung von Sarah Kanes „Gesäubert“ in der Schaubühne reichlich. Von oben wie von unten. Für das viele Blut, das in Kanes apokalyptischem Horrorszenario fließt, und um die besudelten Körper wieder in eine Art unschuldiger Nacktheit und Verletzbarkeit zurückzuduschen.

Auf das Wesentlichste komprimiert, erzählt das Stück die Liebes- und Leidensgeschichte der Geschwister Graham und Grace – ein modernes Märchen vielleicht, gewiss aber eine Tragödie. Das schmallippige, in zwanzig fragmentarische Szenen unterteilte Stück, in dem kaum ein Satz zu Ende kommt, gebiert alles, was ein klassisches Drama groß macht: verbotene Liebe, grausame Machtspiele, schmutzigen Sex. Zwischen den so brutalen wie poetischen Zeilen geht es wie in allen Stücken Kanes aber immer auch um die Leiden der Autorin, die sich mit 28 Jahren das Leben nahm. Ihr Werk erzählt so viel vom Elend der (eigenen) Depression wie von der Macht und Ohnmacht des Theaters.

An zu viel Wasser auf der Bühne liegt es nicht, dass der Funke nicht gänzlich überspringt. So kalkuliert eindrucksvoll es von der Decke schüttet, so schleichend sickert es samt der seelischen und moralischen Abfälle immer wieder ab durch den Ausguss des kreisrunden Wasserbeckens, das Stefan Hageneier (Bühne/Kostüm) in den Boden eingelassen hat. Klaustrophobisch eng wirkt dadurch der gesamte Bühnenhalbkreis aus Beton. Niemand entgeht hier unserem Blick.

Einer steht von Anfang an da: Tinker, eine Art wandelnde Strafvollzugsinstanz, Synonym für die Abwärtsbewegung schlechthin. Matthias Matschke verkörpert den kranken Psychiater mit angestrengt bestialischem Blick. Mit allen Mitteln physischer wie psychischer Gewalt dirigiert er folglich das Horrorszenario; zerschlägt er alle emotionalen Bindungen der ihm untertänigen Liebenden, bestraft er ihre jämmerlichen Seelen und beschneidet ihre Körper, um sich selbst das Ungeheuer Liebe vom Leib zu halten.

Doch bei aller Gewalt, Andrews „Gesäubert“-Version ist ein staunenswert stummer Schrei, der einige Zeit im Kopf nachhallt. Nur schmerzt eben jeder Buchstabe von Sarah Kane mehr als die Bilder, die der junge australische Regisseur und sein siebenköpfiges Ensemble in dieser leisen, streckenweise lähmenden Inszenierung finden. Eine vielleicht zu pragmatisch denkende Generation steht auf der Bühne, die ihren Text zwar streng und hoch konzentriert vorträgt, das Geschriebene dann allerdings zumeist ohne die nötige Intuition für die Wucht und Klarheit der poetischen Sprache in den Raum stellt.

Allein das Programm, das Jule Böwe als Grace wahrhaft todernst und mit gewaltigem, bis an die Selbstverleugnung gehendem Körpereinsatz darbietet, bringt die lobenswerte Entzauberung des Stoffs. Hier tanzt die personifizierte trotzige Liebesutopie auf der Bühne, sie kämpft, sie strauchelt und sie spielt mit unserem Herzen. „Hilf mir“, ihr letzter Satz, der wieder Hoffnung birgt. Sarah Kane war in dieser Welt nicht zu helfen.

PAMELA JAHN

Nächste Aufführungen in der Schaubühne 1./3./4. Juni