Beständigkeit am Ort

Zu Besuch in einer „radikalen Landkommune“

von GABRIELE GOETTLE

Der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht. (Die Gaben des Hl. Geistes, Jes. 11, 1.2)

Johanna Schwalbe, Nonne, OSB (Ordo Sancti Benedicti). 1962 Einschulung in d. Altstadtschule Weißenfels (DDR), ab 1970 Goetheschule ebd., 1974 Abitur. 1974–1979 Studium. d. Physik a. d. Techn. Universität Dresden. Diplom 1979 (Untersuchungen mit Neutronen i. Bereich d. angewandten Kernphysik). 1979 Eintritt ins Benediktinerinnen-Kloster St. Gertrud in Alexanderdorf bei Berlin. Schriften u. Beiträge u. a.: „Durst nach Leben – Betrachtungen im Kirchenjahr zu Texten der hl. Gertrud“. Leipzig 1998; Zs. „Erbe und Auftrag“ 1995, 1997, 2003. Mitglied d. Mystikkommission, Beschäft. m. d. Mystik. d. hl. Gertrud von Helfta; Untersuchungen d. Zusammenhänge zw. Physik u. Religion („Beschreibung des Lichts aus quantenphysikalischer und christlicher Blickrichtung“). Arbeitsschwerpunkte derz.: Organisation u. Buchhaltung, Kindergruppenstunden, Unterricht, Vorbereitung ökumenischer Gespräche und Gottesdienste in Alexanderdorf, Vorbereit. e. Tagung z. Mystik. d. hl. Gertrud. Schwester Johanna Schwalbe wurde 1955 in Weißenfels a. d. Saale (DDR) geboren, die Mutter war Buchhalterin, d. Vater Steiger u. Brunnenbauer.

Südlich von Berlin, in der Mark Brandenburg, inmitten von sandigen, mageren Agrarflächen, zwischen Wäldern und Seen, befindet sich der kleine Ort Alexanderdorf mit dem Kloster St. Gertrud. Die Gegend ist dünn besiedelt und diente in den vergangenen zwei Jahrhunderten großflächig als militärisches Übungs- und Sperrgebiet. Nahe am Kloster liegt der Artillerieschießplatz Kummersdorf. 15 Kilometer entfernt, in Wünsdorf, ist das riesige, teils unterirdische Areal, auf dem die Nazis das Oberkommando der Wehrmacht eingerichtet hatten. Bis 1994 war dort das Oberkommando der sowjetischen Streitkräfte stationiert. Von diesen Nachbarschaften blieb das Kloster nicht unberührt, es gelang ihm aber, seine Neutralität zu wahren. Es gab drei Frauenklöster in der DDR, die beiden anderen, St.Marienstern und St. Marienthal, sind prachtvolle, große, alte Zisterzienserinnenklöster.

St. Gertrud hingegen steht unauffällig und in seiner Abgelegenheit und stillen Lage da, direkt neben der Landstraße, hinter seiner Umfassungsmauer aus Ziegeln. Es besitzt keine berühmte Bibliothek, keine mittelalterlichen Skulpturen, keine Schätze. Durch das schmiedeeiserne Flügeltor führt eine Lindenallee schnurgerade aufs Haupthaus zu, vorbei am Goldfischteich nebst alten Weiden und Findlingen. Über der Pforte des schlichten ehemaligen Gutshauses steht PAX. Flankiert wird das Haupthaus mit dem Glockentürmchen von zwei lang gestreckten Gebäuden. Linker Hand von den ehemaligen Stallungen, in denen nun Arbeitsräume der Schwestern untergebracht sind und der großzügige Gästetrakt mit Seminar- und Meditationsräumen, Musikzimmer, Bibliothek, Teeküchen und den Gästezimmern – die schön sind und still, nämlich ohne Telefon, Radio und TV, dafür mit Schreibtisch und kleiner Handbibliothek. Rechter Hand steht der ehemalige Scheunentrakt, darin befinden sich Kirche, Klausurbereich und Versorgungseinrichtungen. Hinter dem Haupthaus, zur Klausur gehörend, liegt ein schöner Gutspark mit seltenen alten Bäumen, und angrenzend das Geviert des wohl gepflegten Klostergartens, mit Frühbeeten, Spaliergehölzen, Beerensträuchern, Glashaus und Storchennest.

Außerhalb des Zauns erstrecken sich Felder – verpachtetes Land des Klosters – bis fast an den Horizont, an dem sich klein und filigran eine Hochspannungsleitung abzeichnet und drei Windräder. 1933/34 erwarben katholische Rotkreuzschwestern aus Berlin das heruntergekommene Gut in der Absicht, hier eine klösterliche Gemeinschaft zu gründen. Sie nannten das Priorat nach einer der berühmtesten Christusmystikerinnen des Mittelalters, nach der hl. Gertrud von Helfta aus dem 13 . Jahrhundert, richteten sich in den kargen Verhältnissen ein und lebten nach den 1.500 Jahre alten Ordensregeln des hl. Benedikt. Die wichtigsten sind: Beständigkeit und Gehorsam im klösterlichen Lebenswandel, Konzentration auf spirituelles und asketisches Leben, Gliederung der Zeit durch Arbeit, Messfeier und siebenmaliges Chorgebet, damit in allem Gott verherrlicht werde, und, so Benedikt: „Der Liebe zu Christus darf nichts vorgezogen werden, auch nicht die Arbeit.“

In dieser Tradition stehen auch die 30 Ordensfrauen, die heute im Kloster leben, beten und arbeiten. Die Äbtissin (seit 1984 ist das Kloster Abtei), nach der Regel die Vertreterin Christi im Kloster, zuständig für das geistliche, geistige und leibliche Wohl der Schwesterngemeinschaft, versucht, trotz der anbrandenden Probleme der Außenwelt, das alles in der richtigen Balance zu halten. Obgleich wir aus unserer atheistischen Gesinnung keinen Hehl machten, gab sie uns sehr souverän die Erlaubnis, ein Porträt von Schwester Johanna zu machen, die wir zuvor selbst ausgewählt hatten.

28.000 Ordensfrauen gibt es in Deutschland, mehr als ein Drittel von ihnen ist über 65, nur etwa 130 Novizinnen leben derzeit auf Probe in den Klöstern. Schwester Johannas Novizinnenzeit liegt 20 Jahre zurück. Sie wirkt heiter, gelassen und sanft. Nachdem sie uns herumgeführt und alles gezeigt hat, außer natürlich der Klausur, setzen wir uns in die Bibliothek des Gästetraktes, wo sie uns, untermalt vom langsamen Ticken einer alten Uhr, von sich erzählt: „Also, ich bin 1979 hier eingetreten, ein halbes Jahr nach dem Diplom, im Dezember. 24 war ich damals. Ich war bereits während meines Studiums schon mal hier, mit 19, da hatte ich schon angefragt, ob ich kommen kann. Man hat mir aber gesagt, dass ich eine abgeschlossene Berufsausbildung brauche, nur das Abitur alleine nutzt nichts. Da die Schwestern hier am Ort bleiben und wir kein Orden sind, der die Frauen zur Berufsausbildung schickt, muss eine Frau einfach eine gewisse Berufserfahrung mitbringen, nicht nur Schulerfahrung.“

Wir fragen nach den anderen Vorbedingungen. „Man muss ein Gesundheitszeugnis mitbringen. Geistige und seelische Gesundheit wird verlangt. Also Kranke werden nicht aufgenommen, es gibt andere Ordensgemeinschaften, zum Beispiel Franziskanerinnen, die kranke und auch blinde Schwestern aufnehmen. Das Gesundheitszeugnis ist nötig, damit ein Mensch nicht zugrunde gerichtet wird, denn die Belastungen durch den geregelten Rhythmus und den Dienst sind schon eine körperliche Anstrengung. Und dann muss die Frau natürlich unverehelicht sein. Geschiedene Frauen werden überhaupt nicht aufgenommen, verwitwete ja. Im Prinzip können Frauen ab 20, und ich sage mal bis 60 in etwa, aufgenommen werden, wobei man mit 60 aber wahrscheinlich schon so feste Lebensgewohnheiten hat, dass es schwierig würde sich umzustellen. Die eigentliche Voraussetzung, und das ist zugleich das Grundmotiv, das uns trägt, beschreibt Benedikt so: Man soll also gründlich prüfen, ob jemand, der anklopft, wahrhaft Gott sucht. Er sagt klipp und klar: Demjenigen, der anklopft, dem soll man alles Harte und Raue sagen, was auf diesem Weg kommen wird. Beim Vorgespräch wird geklärt, was sind die Voraussetzungen, die Motive, oft zeigt sich dann, es muss erst mal noch einiges geklärt werden, man bleibt erst mal in Briefkontakt.

Und in meinem Fall fehlte es eben noch am Abschluss der Berufsausbildung. Und es war auch nach außen hin nicht so einfach. Es gab eine Aussprache damals an der Uni, mit dem Studienjahrgangsleiter, dem Seminardirektor, mit insgesamt sieben Herren, die saßen mir gegenüber und haben mich gefragt, wie ich eigentlich dazu komme, nach allem, was ich erfahren habe an Erziehung und nach dieser Ausbildung, in den kirchlichen Dienst zu gehen. Und ich habe dann versucht darzulegen, wie ich zu dieser Entscheidung kam und dass ich ganz fest davon überzeugt bin, dass mein Leben Frucht bringen wird, wenn ich mich hier im Kloster einsetze für ein friedliches Miteinander. Der Frieden war und ist ein ganz starkes Motiv bei mir. Ich habe wirklich Frieden gesucht, und zwar nicht nur für mich, sondern für diese Welt. Es geht doch im Grunde darum, dass jeder Mensch eigentlich“, das Ticktack der Uhr gliedert die Stille …, „in der Liebe leben möchte und den Frieden sucht – aber jeder Mensch, der ernsthaft Frieden sucht, der wird erfahren, wie sehr dem widersprochen wird … was sich dem alles entgegensetzt, ob es sich nun um den Frieden im eigenen Herzen handelt oder um den Weltfrieden insgesamt.

Das ist es, was wir hier im Kloster als unsere Aufgabe sehen, und so haben wir es auch über unserem Eingang stehen: PAX. Benedikt unterstreicht das in seiner Ordensregel, nach der wir ja leben: ‚Suche den Frieden und jage ihm nach!‘ Ein Zitat aus dem Psalm 34.

Also, um auf die sieben Herren zurückzukommen, ich habe sie irgendwie überzeugen können. Sie haben gesagt zu mir, dass sie den Eindruck haben, dass ich mir die Sache reiflich überlegt habe – und die hätten mich rausschmeißen können, das war ja nach dem vierten Studienjahr, also vor dem Diplomjahr – aber ich musste nur einen Zettel unterschreiben, dass ich auf weitere Absolventenvermittlung verzichte, denn zu DDR-Zeiten gab’s keine Arbeitslosen, jeder wurde in eine Arbeit vermittelt. Ich unterschrieb also, dass ich verzichte und in den karitativen Dienst der Kirche eintreten werde. Damit war dann auch mein Studium abgesichert. Ich konnte ohne Behelligung in einer sehr angenehmen Atmosphäre mein Diplom machen. Man hätte es natürlich lieber gesehen, wenn ich an der Uni geblieben wäre. Wir waren ja nur sehr wenige Frauen im Studium, aber ich habe mir gesagt, Ordensfrauen sind noch viel mehr in der Minderzahl, es gibt nur sehr wenige Menschen, die sich dafür entscheiden. Also ist mein Einsatz hier im Kloster wichtiger. Und als ich dann 1979 endlich eintreten konnte, da war das für mich wie ein Ankommen … dort, wo ich hingehöre. Der Vorteil am Kloster ist, dass man es als Gemeinschaft tut, dieses Suchen … und ich liebe das Stundengebet. Habe schon als Studentin früh das Morgengebet und das Abendgebet gehalten, immer allein, und es war mein Wunsch, mit anderen Frauen gemeinsam das Stundengebet zu halten. Also, bei mir war dieses Suchen immer stärker als der Wunsch nach einer Familie, nach Kindern. Ich habe ja noch eine leibliche Schwester, die auch Ordensschwester ist, bei den Clarissen. Sie ist ins Kloster gegangen, als ich fünf Jahre alt war, und dadurch bin ich schon in der Kindheit immer mit der Möglichkeit dieses Weges konfrontiert worden. Als ich zwölf war, hat der Pfarrer mich gefragt, was ich denn mal werden will. Da habe ich gesagt: Ich werde Ordensschwester. Und dieser Wunsch hat sich gegenüber allen anderen Neigungen, die dann auch noch kamen mit der Zeit, einfach immer durchgesetzt. Und ich hatte ja fünf Jahre zum Überlegen.“

Wir möchten gern Genaueres über die Probezeit wissen. Schwester Johanna lächelt und sagt: „Also zuerst das Postulat, für 6 bis 12 Monate, da gibt’s dann eine graue Tracht und eine Einführung in unsere Lebensgewohnheiten und die monastische Spiritualität. Danach folgen zwei Jahre Noviziat, das ist vom Kirchenrecht so geregelt, man wird eingekleidet, erhält einen weißen Schleier und wächst weiter hinein in die schwesterliche Gemeinschaft, im Prinzip aber kann die junge Frau jederzeit, jeden Tag wieder weggehen. Da ist sie noch nicht gebunden. Dann kommt der zeitliche Profess, ich schreibe eine Urkunde aus für eine Bindung auf drei Jahre. In dieser ganzen Zeit gibt es natürlich Unterricht zu allen Themenbereichen unseres geistlichen Dienstes, man bekommt Begleitung und persönliche Orientierungshilfe. Wenn ich nach drei Jahren – dann sind es ja insgesamt etwa sechs Jahre – der Meinung bin, dass dieser Weg mein Weg ist, dann kann ich um Zulassung bitten, dass ich für immer aufgenommen werde in diese monastische Gemeinschaft – denn auch die Gemeinschaft muss darüber abstimmen. Und wenn dann beide Seiten ihre Zustimmung geben zu dieser Bindung für immer, dann mündet das in die feierliche Profess, also ewige Profess. Der Bischof ist anwesend, und man bekommt einen Ring an den Finger gesteckt als Zeichen der Bindung für immer. Diesen Ring – er ist nicht graviert – den geben wir auch weiter“, sie dreht ihn vom rechten Ringfinger, hält ihn einen Moment und steckt ihn dann wieder auf, „den habe ich von einer Schwester übernommen, sie ist 1984 verstorben. Sie hieß mit ihrem bürgerlichen Namen auch Johanna und hatte sich immer gewünscht, dass eine junge Johanna mal nachrückt. Wir haben die Ringe der Verstorbenen in einer Schatulle, und dieser war der einzige, der mir passte. Ein schönes Zeichen.“

Die Uhr tickt, Schwester Johanna hat ihre Hände im Schoß liegen, weiß und grazil heben sie sich vom Hintergrund des schwarzen Ordenskleides ab. Sanft fährt sie fort: „Was bei uns sehr dazugehört, das ist die Achtung vor dem Alter. Benedikt sagt: die Älteren ehren, die Jüngeren lieben. Diese Rücksicht aufeinander, den anderen höher schätzen als sich selbst, das sind einfach Umgangsformen, die sich bewährt haben.

Daran können Sie auch ermessen, wie sehr über 1.500 Jahre hinweg sich die Ordensregel des hl. Benedikt bewährt und den Benediktinischen Orden erhalten und zusammengehalten hat. Es ist alles auf der Nachfolge Christi aufgebaut, auf der Demut, auf der Bereitschaft zum Dienen, auf der Achtung vor dem Alter. Unsere älteste Schwester ist jetzt 81, die jüngste 25, die Mutter Oberin ist 63, und ich werde 49. Von unserer Altersstruktur her ist es so, dass wir ein Drittel unter 60 haben und zwei Drittel über 60. Aber die Schwestern zwischen 60 und 70, die sind alle noch rüstig und sie sind im eigentlichen Sinne des Wortes unsere tragenden Säulen. Aber wenn sie einmal nicht mehr rüstig sein sollten, wenn sie krank und pflegebedürftig werden, dann übernehmen wir ihre Pflege. Wir alle bleiben hier – vom Eintritt bis zum Lebensende. Wir haben alle unseren festen Platz in diesem Gefüge. Die zentrale Instanz ist natürlich die Oberin, sie wird in geheimer Abstimmung von uns gewählt, ihr gebührt nach der Regel des hl. Benedikt der uneingeschränkte Gehorsam ihrer Schwesternschaft. Die Oberin ist diejenige, die uns die Anleitungen gibt fürs geistliche Leben, die uns das Wort Gottes auch auslegen muss, denn davon leben wir. Das ist unsere geistige Nahrung, unsere Lebensgrundlage!“

Schwester Johanna ordnet ihren Überwurf über den Knien und fährt fort: „Was die Rangordnung im Kloster betrifft, so richtet sie sich nicht nach dem natürlichen Alter oder dem Bildungsstand, sondern nach der Reihenfolge, in der wir ins Kloster gekommen sind. Es weiß jede genau, wo ihr Platz ist. Aufgrund meines Eintrittsalters stehe ich an der und der Stelle. So stelle ich mich auf, so stehe ich bei der Abstimmung, und so sind wir in der Kirche angeordnet, die Ältesten vorne, die später Gekommenen hinten. Das Klosteralter vermeidet auch, dass einer immer unten bleibt, immer zurückgedrängt wird, weil er vielleicht schwächer ist, das soll es nicht geben, und das gibt es eigentlich so auch nicht.“

Wir fragen, ob sich nicht doch eine Hierarchie einschleicht durch die verschiedenen Bildungsvoraussetzungen und damit die Art des Arbeitsbeitrages jeder Schwester fürs Kloster. „Nein, ich meine, es hat jeder seinen Aufgabenbereich. Eine Schwester hat zum Beispiel das Spülen übernommen … sie steht auch sonst in der Hostienbäckerei. Aber sie tut’s auch gerne! Und es ist ja so, wenn sie mal nicht kann und sie spricht mich an, dann mache ich das für sie. Ich habe ganze Monate gespült, bevor ich in der Buchhaltung war. Und was Sie über die Vorbildung sagen, wir haben ja fast sechs Jahre lang Unterricht vor dem endgültigen Gelübde, täglich. Da wird Kirchengeschichte unterrichtet, Liturgie- und Liturgiegeschichte, gregorianischer Gesang in Theorie und Praxis – jeder einzelne Psalm wird durchgesprochen, es sind 15 und sie stammen aus dem 1. Jahrtausend vor unserer Zeit – und dann natürlich wird jedes einzelne Buch der Heiligen Schrift mit Kommentar durchgesprochen im Unterricht, ebenso die Regeln des heiligen Benedikt, und es wird natürlich die lateinische Sprache vermittelt bzw. vertieft.

Also, das ist so in etwa die Bildung, die die Schwestern jetzt hier im Hause bekommen, jede, unabhängig von ihrem Ausbildungsgrad, und durch diesen gemeinsamen Ausbildungsstand haben wir dann eine gute gemeinsame Grundlage geschaffen, sodass jede Schwester auch dann ihre eigene Würde hat, ihr Wissen. Und innerhalb der Rangordnung hat dann eben jede Schwester ihren Platz, es ist wie ein Baustein eigentlich, den man einsetzt in das lebendige Gefüge des Klosters. Mit den Schwestern, mit denen man gleichzeitig gekommen ist, oder die unmittelbar vorher oder nachher kamen, da hat man natürlich mehr Kontakt. Mit mir zusammen kam Schwester Elisabeth, die für den Gästetrakt zuständig ist. Sie haben sie vorhin kurz kennen gelernt. Ich kam im November 79, sie kam im Dezember. Wir wurden zusammen eingekleidet, haben zusammen unsere Ordenstracht bekommen, haben zusammen unsere Profess abgelegt, die Weihe empfangen, das verbindet natürlich miteinander. Sie ist älter als ich, aber vom Klosteralter her gehören wir zusammen. Und ansonsten entsteht der Kontakt miteinander durch gemeinsame Arbeitsbereiche, zum Beispiel die Schwestern in der Hostienbäckerei, die beten meistens miteinander den Rosenkranz beim Backen.

Denn nach der Regel redet man ansonsten nur das Nötigste. Wir schweigen viel, und das ist nichts Reduziertes! Sonntags machen wir dann auch mal einen Spaziergang, da kann man sich austauschen. Und nach Ostern haben wir gemeinsam Erholungszeit, dann machen wir auch Fahrradtouren und spielen zusammen. Einundzwanzig Tage gemeinsamer Urlaub, und jedes zweite Jahr können wir in ein anderes Kloster fahren für zwei bis drei Wochen. So kommen wir herum. Wir bekommen ein kleines Taschengeld, und sonst brauchen wir ja nichts. Besitzlosigkeit ist etwas sehr Befreiendes. Das können sich viele nicht vorstellen.

Also, für mich war das Schöne hier an diesem Kloster damals, dass sie auch Schwestern aufgenommen haben, die keine Aussteuer hatten. Manche konnten was mitbringen, manche eben nicht, es sollte nicht daran scheitern. Und in unserer Zelle, da haben wir ein Bett, einen Schrank, einen Tisch. Besitztümer der üblichen Art haben wir nicht. Bücher ja, die haben wir, und wir haben unsere persönliche Ordenskleidung, sonst gilt: Alles sei allen gemeinsam, so Benedikt.“

Wir fragen, ob sie ihre Trachten selbst herstellen. „Ja, wir haben zum Glück eine Schwester, die Schneidermeisterin ist, und eine Näherei, in der unsere Habite genäht werden, maßgeschneidert – man kann so was auch kaufen, aber da gibt’s nur eine allgemeine Ordenstracht von der Stange. Wir haben einen Winterhabit, das ist der, den ich anhabe, er ist dicker. Und dann haben wir einen für den Sommer aus leichterem Stoff. Wir tragen ein halbes Jahr lang den einen, geben ihn zum Waschen, und danach tragen wir den anderen.“ Wir bitten darum, uns die Kleidung etwas genauer zu beschreiben. „Da wäre zum Beispiel der Schleier. Dieser Schleier hat drei Teile: Stirnband, Unterschleier und Überschleier. Den schwarzen Überschleier befestigen wir mit Stecknadeln am weißen Unterschleier, und das sitzt wunderbar fest, sogar beim Fahrradfahren. Schleier habe ich drei in Schwarz. Die weißen sind nur für die Novizinnen – allerdings haben wir auch einen weißen für die Hostienbäckerei oder für schmutzige Arbeiten, denn er lässt sich besser waschen. Am schwarzen sieht man jeden Fussel, außerdem wird er grau vom vielen Waschen. Also den schonen wir. Unterschleier bekommen wir insgesamt fünf, drei gute und zwei für die Arbeit. Der Stoff ist im Sommer und Winter gleich, nur die guten sind halt heller, neuer, und die für die Arbeit sind schon ein bisschen vergilbt und geflickt vielleicht. Ich habe hier einen Sonntagsschleier auf, weil er ein bisschen ordentlicher ist. Mein anderer für werktags ist geflickt, also praktisch einmal umgedreht worden. Das Ausgeblichene ist nach unten genommen worden. Und da wäre dann noch das so genannte Skapulier, das ist also die bodenlange Stoffbahn hinten und vorne, ein Überwurf zum Dranknöpfen. Man kann ihn abnehmen und eine Arbeitsschürze anziehen. Sonst gehört er zur Ordenstracht. Und unter dem Skapulier haben wir die Hände gefaltet.

Sie kennen ja sicher die übliche Gebetshaltung, bei der man die Hände verschränkt hält. Das ist die Art, wie eigentlich ein Bauer vor dem Lehnsherrn stand. Das wurde so übernommen, als Geste der Verehrung und auch der Unterwürfigkeit. Aber wir haben natürlich noch andere Gebetshaltungen: Die Hände nach oben bedeutet, ich richte mich aus nach dem Licht; oder die Gebetshaltung beim Vaterunser, wo sich die Arme öffnen; und die sehr schöne Form des Gebets, wo ich die Hände über dem Herzen verschränke, die nehme ich sehr gern unter dem Skapulier, dann fällt es überhaupt nicht auf.“ Sie macht es vor: „Ich hab’s hier drunter, über dem Herzen verschränkt, und so bete ich. Ja und dann haben wir noch einen Gürtel und zur Not eine Tasche im Unterkleid, aber Taschen brauchen wir ja eigentlich nicht. Das alles ist eben unsere einfache Lebensweise – man muss es ja nicht gleich Armut nennen – aber ich muss sagen, die Ordenskleidung, die ist wirklich etwas, das uns sehr dabei hilft, einfach zu leben.“

Damit wir uns dieses Leben besser vorstellen können, bitten wir sie um eine Schilderung ihres Tagesablaufs. „Also, um fünf wird von einer Schwester die Glocke geläutet, per Hand, dann stehen wir auf. Von halb sechs bis sechs Uhr ist die Möglichkeit zu stillem Gebet. Um sechs Uhr ist Laudes, das erste der sieben gemeinsamen Stundengebete des Tages, nach der Weisung der Psalmen: Siebenmal am Tag singe ich Dein Lob. Nach dem Morgenlob, so ab 6.30 Uhr, ist wieder Zeit für stilles Gebet, oder einige Schwestern müssen schon in der Küche was vorbereiten. Um 7.30 Uhr ist Hochamt, das macht jeden Morgen unser Hausgeistlicher, der auch hier bei uns wohnt im Gästetrakt, die Messe ist verbunden mit der Terz. Danach ist dann das Frühstück, an Werktagen so um 8.30 Uhr – an Sonntagen ist alles ein wenig später. Zum Frühstück wird dann das einzige Mal am Tag das Radio angestellt – einen Fernseher haben wir nicht –, wir hören also die Nachrichten, auch um die aktuelle Lage zu erfahren und die Situation des Landes im Auge zu behalten, in dem wir leben. Und ganz wichtig: Damit wir dann auch gleich in diesen Anliegen mit beten können, entweder jede für sich oder offiziell formuliert in dem Fürbittgebet. Also, wir beten für die Opfer – bei Naturkatastrophen zum Beispiel, aber auch bei Anschlägen –, und wir beten für die, die neue Anschläge planen, dass sie umkehren können. Auch beim Anschlag damals am 11. September. Wir haben es nachmittags an der Informationstafel gelesen – wir haben eine Schwester, die auch zwischendurch Nachrichten hört und das Wichtige dann anschreibt, dass wir’s gleich in unsere Gebete mit aufnehmen können. Wir haben das damals natürlich erst gar nicht begriffen. Das wäre also das Frühstück, und wir hoffen immer, dass nichts passiert ist.“

Die Uhr tickt, Schwester Johanna ist ernst. „Nach dem Frühstück ziehen wir uns um, weiterhin schweigend, und von 9 Uhr bis 12 Uhr ist dann unsere Arbeitszeit. Wir haben drei Stunden Arbeitszeit am Vormittag und drei am Nachmittag, sodass jede Schwester täglich sechs Stunden Arbeitszeit hat. Jeweils in ihrem Bereich: Wir haben eine große Hostienbäckerei, eine Werkstatt, in der liturgische Gewänder hergestellt und restauriert werden, wir haben den Gästebereich, für den Schwester Elisabeth und eine weitere Schwester zuständig sind, wir haben die Küche, und in der Waschküche ist auch viel zu tun, die Schwester dort ist 73 Jahre alt und macht noch alles. Auch die Gartenschwester hat eine Menge Arbeit, sie ist über 60 und bewältigt das. Es werden von verschiedenen Schwestern Kurse abgehalten, eine Schwester malt Ikonen. Ich selbst bin zuständig für die Buchhaltung und gehe nach dem Frühstück ins Büro. Zwischendurch, wenn ich Zeit habe, gehe ich und übe an der Orgel. Wir sind drei Schwestern, die Orgel spielen. Und ab und zu, da wir keine Busverbindung haben und alles mit dem Auto besorgen müssen, auch die Lebensmittel, fahre ich dann auch. Von den jungen Schwestern können die meisten Auto fahren. Ich habe meinen Führerschein noch während des Studiums in Dresden gemacht, Motorrad und Auto.“

Sie lächelt fein und fährt fort: „Um 12.15 Uhr haben wir die Sext, das Mittagsgebet zur sechsten Stunde, danach ist zehn Minuten lang eine Singübung, gregorianischer Gesang. Anschließend dann das Mittagessen, gemeinsames Aufräumen, und danach ist die Rekreation, wo wir dann miteinander über alles Mögliche sprechen und auch mal fröhlich sein können miteinander. Das ist umso schöner, als wir ja sonst vorwiegend schweigen außerhalb der Rekreation und bei der Arbeit. Dann um 13.50 Uhr ist die Non, eigentlich die 9. Stunde, in der Jesus am Kreuz starb. Anschließend haben wir dann eine Ruhezeit von 14.10 Uhr bis 15 Uhr – ich kann mich hinlegen, kann auch lesen oder in den Park gehen, Kaffee steht bereit und Tee. Das ist dann so die Zeit, in der ich mich auch mal mit Licht und Quantenphysik beschäftige und nachlese, welchen Stand die neuen Entwicklungen jetzt haben. Ohne diesen abgeschlossenen Bereich der Klausur könnten wir das alles gar nicht vereinen: unsere Hauptaufgabe, das Lob Gottes; unsere benediktinische Spiritualität; den gemeinschaftlichen Selbsterhalt und die Aufgabe als Bewahrerinnen und Vermittlerinnen des geistlichen Reichtums unserer christlichen Tradition.

Ich halte ja auch Besinnungstage für Frauen. Am Kursangebot, das wir haben, sind mehrere Schwestern beteiligt. Und ich mache Kindergruppenstunde, Montagnachmittag, alle vierzehn Tage, für Kinder aus dem Ort. Jeden zweiten Sonntag habe ich auch Dienst – also Gästebetreuung und Pfortendienst oder auch wenn mal ein ganz Armer kommt; wir haben ja ein Wärmestübchen, wo jemand in Ruhe was essen kann und duschen, diese Dinge gehören ja auch zu unseren Aufgaben. Und dann natürlich, das darf man nicht vergessen, halten wir ja bis auf die Parkanlagen alles selbst in Ordnung. Ich putze mein Büro, die Kellertreppe. Jede Schwester hat ihre Putzstrecke, auch die älteren Schwestern – obwohl, das ist auch unterschiedlich! Viele putzen ja mit 75 sich teilweise noch selbst die Zellen. Aber ich putze auch die Zelle von meiner Schwester mit, die mir gegenüber wohnt. Auch die Fenster. Ich putze die Toiletten und die Dusche, das machen wir Schwestern alles selbst. Und die körperliche und geistige Arbeit hat ja nicht nur den Aspekt des Selbsterhaltes, sondern auch einen spirituellen.“ Die Uhr tickt zuversichtlich.

„Um 15 Uhr fängt dann die Arbeit für uns wieder an bis 18 Uhr, bis zur Vesper. Danach haben wir Abendbrot und Lesungszeit – wo jeder für sich lesen kann so bis 19.30 Uhr. Um 19.45 Uhr läutet es dann zur Komplet, und anschließend ist sofort die Vigil, das Nachtgebet, mit dem der Tag abschließt. Dann ist es 20.45 Uhr. Und 21.30 Uhr so in etwa ist dann die Zeit, wo ich ins Bett gehe, damit ich um 5 Uhr morgens wieder ausgeschlafen aufstehe.“

Sie lächelt verständnisvoll und sagt: „Ich will’s mal so formulieren: Ich bin entschädigt durch die Liebe Christi, der für uns am Kreuz gestorben ist – ihm folgen wir. Das ist mein tägliches Leben, mein Lebenseinsatz! Dafür habe ich mein anderes Leben hinter mir gelassen, meinen Beruf als Physikerin aufgegeben. Die Aufmerksamkeit, die uns die Gottes- und Nächstenliebe lehrt – in Ehrfurcht einander zuvorzukommen –, die erfüllt uns ganz. Ich hoffe, dass es so bleiben kann, denn schauen Sie sich doch die Entwicklung an! Also dass wir hier im Kloster leben können, ist ja überhaupt nicht selbstverständlich – es hat ja schon mal eine Säkularisierung gegeben, oder auch die Ökonomie hat Folgen. Das mit diesen ganzen Steuerreformen, Gesundheitsreformen, der Praxisgebühr, das geht uns ganz schön an die Nieren. Unsere Medikamente, die müssen wir jetzt praktisch alle selbst kaufen. Aber wir müssen eben sehen, wie wir das verkraften. Es ist nicht leichter, im Kapitalismus in einem Kloster zu leben!“