Finnland verkehrt frei

Das Internet dient dem freien Datenaustausch. Nicht dem Profit und Konsum. Die Finnen haben das längst begriffen

Eine kanadische Softwarefirma hat herausgefunden, dass bei den Breitband-Providern in Finnland etwa 80 Prozent des Datenverkehrs auf das Konto von so genannten Peer-To-Peer-Verbindungen, also nichtkommerziellen Tauschbörsen, gehen. Die Firma möchte mit dieser Nachricht Werbung für die Software machen, die sie entwickelt hat, um dieses Problem zu lösen. Aber auch nur eine kanadische Firma kann auf die Idee kommen, darin überhaupt ein Problem zu sehen. Peer-To-Peer-Verbindungen bestehen zwischen gleichberechtigten Computern, die auch dann als privat gelten, wenn sie im Büro stehen. Das ist die intelligenteste und wirkungsvollste Art, das Internet zu nutzen – die Finnen wissen das längst. Und dass sie in Finnland besonders weit verbreitet ist, erklärt auch, warum das Land an der Spitze Europas liegt.

Warum gerade Finnland? An den Seen und den Mücken liegt es sicher nicht, eher schon an den langen Nächten. Mag sein, dass sich in Finnland die ersten Besitzer von PCs im Winter überlegt haben, wie sie sich die Zeit vertreiben. Sie haben das Internet nicht erfunden, aber sofort begriffen. Schon Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts war es in Finnland normal, einen Internetzugang zu haben. Besonders beliebt war das so genannte Usenet, ein System von Diskussionsforen, das eine frühe Variante des Peer-To-Peer-Prinzips ist: Man schickt einen Beitrag an die Adresse eines Forums und holt sich die Anworten von dort ab, wenn man sie nicht gleich online liest. Als es in diesem System zu den ersten Skandalen kam, weil natürlich nicht alles, was dort zu lesen war, den Moralvorstellungen christlicher Fundamentalisten des mittleren Westens der USA entsprach, rettete mehrere Jahre lang eine finnische Adresse die globale Meinungsfreiheit. Verpönte Beiträge konnten einfach an „penet.fi“ geschickt werden. Dort waren waren sie sicher vor der Zensur. Als dieser Zwischenspeicher doch geschlossen werden musste, stellte sich heraus, dass die Hardware ein simpler, schon damals veralteter DOS-Computer war.

Das Usenet gibt es immer noch, nur weiß das kaum jemand, seit es Webseiten für Analphabeten gibt. In Finnland braucht man sie nicht, denn dort lernen die Kinder bekanntlich schon in der Schule lesen und schreiben. Nach der Schule, hat die kanadische Softwarefirma herausgefunden, gehen sie ins Internet. Nicht ins Web, sondern ins Internet. „Peer-To-Peer“ ist nur ein anderer Name dafür, was das Internet wirklich ist – so wie schon „Usenet“ nur ein anderer Name dafür war: ein System, in dem beliebige Leute Daten austauschen – Texte, Bilder, Musik, Kinofilme oder Computerprogramme. Und kein System, in dem Medienmanager zielgruppenspezifisch ausgewählten Kunden ihre Waren verkaufen können. NIKLAUS HABLÜTZEL