: Wohnen in der Sargfabrik
Das Projekt „Hier entsteht“ präsentiert an der Volksbühne spannende Modelle für Bauen mit Bewohnerbeteiligung
Illegal gebaute Bezirke in Mexiko-Stadt, ein Ökodorf in Sachsen-Anhalt, eine Sargfabrik in Wien und ein städtisches Entwicklungsgebiet in Adlershof. Die Projekte könnten auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein. Beim näheren Hinsehen aber entsteht ein tragfähiges Konglomerat aus Versatzstücken irregulärer Architektur.
Das reale Gerüst dafür wurde vor gut anderthalb Wochen aus Metallstangen vor dem kleinen Pavillon neben der Volksbühne errichtet. Dozenten und Studierende der Universität der Künste präsentieren dort ihr Projekt „Hier entsteht“: Partizipatives Bauen, Häuser, die komplett oder in großen Teilen von den künftigen Bewohnern selbst geplant wurden. Weniger die rudimentäre Ausstellung im Pavillion als eine dichte Reihe anschaulicher Vorträge im Stangenwald davor führen in die Wunderwelt experimenteller Architektur.
Wie die ganz ohne offizielle Planung entsteht, erklärte gleich im Eröffnungsvortrag der Stuttgarter Stadtplaner Eckhart Ribbeck am Beispiel so genannter informeller Bezirke in Mexiko-Stadt. Weil in der enorm gewachsenen 20-Millionen-Metropole sozialer Wohnungsbau praktisch kaum stattfindet, stecken dort Spekulanten auf gigantischen Flächen der Peripherie rechteckige Claims ab und verscherbeln diese unbürokratisch an Interessenten. Familien bauen dann, teils in mehreren Generationen über Jahrzehnte ihr Haus. Ohne Kredite, in Selbsthilfe wächst das Heim nach und nach erst über die ganze Parzelle und dann in die Höhe.
Eine Nummer kleiner ist das Ökodorf Siebenlinden in Sachsen-Anhalt angelegt. Seit sieben Jahren plant und baut dort eine Gruppe ein „weltoffenes Dorf“ für 600 Menschen, berichtete Dorfbewohner Martin Stengel. Er selbst hat mit Freunden ein 100 Quadratmeter großes Haus errichtet. Gekostet hat das Ganze 6.000 Euro – und 12.000 Arbeitsstunden. Verwendet wurden nur Recycling- und Naturmaterialien, Holz wurde aus dem Wald per Pferd herangekarrt, Wände aus Strohballen und Lehm errichtet.
„Das geht uns viel zu weit“, entgegnete später der Architekt Johann Winter. Er hat in Wien eine Sargfabrik in Sozialwohnungen umgewandelt und die dabei gewonnenen Erfahrungen bei einem zweiten Neubauprojekt verwandt. „Man muss nicht über jede Holzlatte debattieren“, umriss Winter sein Verständnis von Bewohnerbeteiligung. Es komme vielmehr darauf an, die Wünsche der Nutzer zu moderieren und ihnen entsprechende architektonische Lösungen zu präsentieren. Das Ergebnis kann sich auch hier sehen lassen. Lichtdurchflutete Wohnungen mit hohen Wohn- und niedrigen Schlafräumen, die über Rampen verbunden werden. Nur wie sich die Bewohner dann in ihrem schrägen Heim eingerichtet haben, zeigte Winter nicht in seinem Diavortrag.
Dennoch werden die Projekte in erster Linie durch ihre Ergebnisse anschaulich. Schwieriger scheint die Darstellung des Bauprozesses. Von regelmäßigen Plena und Versammlungen erzählten Stengel und Winter. Abstimmungsmodalitäten wie Zwei-Drittel-Entscheidungen oder „Konsens minus eins“ lassen erahnen, warum sich nicht mehr Architekten und Bewohner für diese Art der Planung begeistern. „Sie sehen“, meinte Winter kurz und knapp, „ich habe graue Haare.“
Ulf Maaßen hingegen ist noch blond. Aber er steht erst am Anfang eines ehrgeizigen Projektes. Auch die Berlin Adlershof Aufbaugesellschaft (BAAG) hat Claims in der Peripherie abgesteckt. Auf dem ehemaligen Flugfeld Johannisthal in Treptow plante sie Mitte der 90er-Jahre zunächst luxuriöse Dreistöcker. „Quasi Ku’damm“ nennt Maaßen die ursprüngliche Planung. Mittlerweile wurde radikal abgespeckt. Unter dem Label „Anders Bauen am Landschaftpark“ vermarktet Maaßen nun für die BAAG das 9 Hektar große Areal. 32 Teilstücke werden von je einem Architektenbüro gestaltet – und deren 32 Konzepte bieten Raum für alle denkbaren Ansätze kreativer Planung: Lehmbautechnik wie im Ökodorf, geführte Gruppenplanung wie in Wien, selbst die mexikanische Bauweise taucht auf: als Tetris-Haus, das je nach Geldbeutel und Bedarf erweiterbar ist. GEREON ASMUTH
„Hier entsteht“ läuft noch bis Sonntag. Vorträge in der Regel zwischen 18 und 22 Uhr. Der Eintritt ist frei. Infos unter www.ersatzmedia.info