: Ab in die Wüstenei
Lübecks SPD-Bürgermeister Bernd Saxe würde gern ein schönes neues Gewerbegebiet ausweisen. Am liebsten in einem ökologisch wertvollen Biotopverbund, der nach EU-Recht geschützt ist
Die Wüstenei liegt nordwestlich des Autobahnkreuzes Lübeck von A 1 und A 20. Der größte Teil des 335 Hektar großen Geländes befindet sich auf Lübecker Gebiet, ein kleinerer Teil gehört zur Gemeinde Badendorf (Kreis Stormarn). 227 Hektar sind nach der EU-Richtlinie Flora-Fauna-Habitat (FFH) geschützt. Nach Angaben des NABU kommen dort mindestens sieben Amphibienarten vor, darunter der gefährdete Kammmolch. 40 Kleingewässer und Kleinstmoore gelten als besonders schutzwürdig. Die Datenbank des „Vereins für naturwissenschaftliche Heimatforschung zu Hamburg e. V.“ nennt für die Wüstenei allein 70 Käferarten, davon 23 von der roten Liste. Als schutzwürdig gelten zudem das dichte Knicknetz und mehrere nährstoffarme Wiesen. SMV
VON SVEN-MICHAEL VEIT
Eine Wüste ist sie wirklich nicht, die Wüstenei. Woher der Name stammt, ist nicht bekannt – welches Schicksal ihr droht, hingegen schon. Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) würde gern ein Gewerbegebiet auf die Feuchtwiesen am westlichen Stadtrand planieren. Etwa ein Drittel der 335 Hektar würden dann versiegelt werden, obwohl sie als Vogel- und Wasserschutzgebiet anerkannt und nach dem europäischen Naturschutzrecht der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie geschützt sind (siehe Kasten).
„Bislang ist es nur eine Idee“, sagt Saxes persönlicher Referent Oliver Groth der taz. Lübeck sei knapp an Flächen für mögliche neue Gewerbegebiete, und dabei handele es sich zumeist um einzelne Grundstücke, verteilt über die ganze Stadt. Die Wüstenei hingegen wäre ein großer Wurf. Das Areal liegt an der Kreuzung der Autobahn 1 mit der im Bau befindlichen A 20 und ist somit problemlos erreichbar.
Wenn die Brücke über den Fehmarnbelt und die A 20 samt Elbtunnel bei Glückstadt bis Niedersachsen gebaut wird, dann treffen hier die Verkehrswege zwischen Hamburg und Kopenhagen auf die von Bremen nach Stettin – und Lübeck stehe dann vor der Alternative, die Güterverkehre an sich vorbeirauschen zu lassen oder für sich zu nutzen. „Wollen wir Arbeitsplätze schaffen oder nicht – das ist die Frage“, sagt Groth. Er klingt, als könne es nur eine Antwort geben.
Nur eine Antwort kann es auch für Thomas Behrends vom Naturschutzbund (NABU) in Schleswig-Holstein geben: „Neue Gewerbegebiete gehören nicht auf grüne Wiesen und schon gar nicht in ein Naturschutzgebiet.“
Bei der Wüstenei solle offenbar „die alte Salamitaktik angewendet“ werden, vermutet er. Erst werde bei der Planung der Autobahn ökologischer Ausgleich versprochen, und kaum sei die Trasse da, sage ein Bürgermeister: „Oh, da ist ja eine neue Straße, da können wir doch Gewerbe ansiedeln“, so Behrends. Das sei, seufzt er, das ewig alte Spielchen zu Lasten der Natur.
Und die sei in der Wüstenei besonders vielfältig, weil diese „ein komplexes Gebiet ohne Verkehr und Zerschneidungen“ sei. Der ehemalige Truppenübungsplatz, den die Bundeswehr im Jahr 1993 aufgegeben hatte, hat sich in 15 ungestörten Jahren zu einem vielfältigen Biotopverbund entwickelt. Es sei eine historische Naturlandschaft mit nur geringen Auswirkungen durch Dünger und Gifte aus der Landwirtschaft, sagt der NABU-Mann Behrends: „Das ist ein botanisch und ornithologisch hoch wertvolles Gebiet.“ Brutvögel wie Wachtelkönig, Feldlerche und Neuntöter seien dort heimisch, und wenn das Areal genau untersucht würde, seien „bis zu 300 Arten Schmetterlinge und bis zu 500 Arten Käfer“ zu erwarten.
„Wie hier eine Verträglichkeit der Planung mit den Zielen der FFH herzustellen sein soll“, führt Behrends aus, „entzieht sich meiner Vorstellung.“ Im Lübecker Rathaus räumt auch Groth ein, dass „der FFH-Status eine hohe Hürde ist“. Aber man könne ja mal mit der Landesregierung und der EU „ins Gespräch kommen“.
Über eine Alternative denken indes die Grünen in der Bürgerschaft der Hansestadt nach. Am Wochenende hat gerade der neuseeländische Investor Infratil angekündigt, seinen 90-prozentigen Anteil am Lübecker Flughafen Blankensee abzustoßen. Ohne neuen Investor könne man den Airport östlich des Autobahnkreuzes schließen – und in ein Gewerbegebiet umwandeln.