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Archiv-Artikel

Samtkappe und Cowboyhut

Vielleicht waren die Großeltern schon unter den Gästen, als das Ganze noch eine kleine Grillparty war: Freundlich und kommunikativ ist das alljährliche Orange Blossom Special im Garten des Glitterhouse-Record-Labels. Ort des Geschehens: Beverungen in Westfalen

Von Hamburg ist es nur ca 300 Kilometer weit weg. Aber wo liegt Beverungen? Irgendwo in Ostwestfalen, und nix Großes in der Nähe. Und doch: Zu Pfingsten wächst die Bevölkerungszahl des Ortes um zehn Prozent. Genau 1.600 Eintrittskarten werden nämlich zum Festival des dort heimischen Musiklabels Glitterhouse verkauft.

1.600 – für Beverungen eine große Zahl, für den Glitterhouse-Garten, in dem die Bühne steht, erst recht. Für‘n zünftiges Musikfestival aber ein Witz. Wir finden es schließlich mit einem Pfadfindertrick: Wie fast jede Stadt liegt auch dieser Ort an einem Fluss, nämlich der Weser. Wir paddeln also ab Cuxhaven gegen den Strom, bis wir da sind. Irgendwann sehen wir in großes grünes Gebäude hinter einer Zeltlandschaft aufragen: ein Kornspeicher. Also weiter, dem Strom der Bekenner-Shirt-Träger hinterher zum Glitterhouse in den romantischen OBSt-Garten.

Seit acht Jahren gibt es das Festival Orange Blossom Special (OBST). Es gibt Bier von der Schlossbrauerei und Musik, für die sogar Münchner den Weg auf sich nehmen. Sowie ein Wochenende ohne Dusche und drei Nächte im Zelt. Das sind jedoch Banalitäten, blass gegen den Charme, der dieses Festival so besonders macht. Das OBS ist bekannt dafür, reibungslos abzulaufen. Liegt es daran, dass jeder Besucher einen Katalog mit OBS-Verhaltensregeln erhält? Liegt es daran, dass viele ihre Pubertäten lange hinter sich haben?

Fest steht jedenfalls: Dies ist ein Musikfestival für Menschen, die eigentlich keine mögen; die lieber Moorbäder in Bad Karlshafen nähmen, als die Schlacht um einen Stehplatz zu ertragen. Nicht so beim OBS: Hier kann man den Nachwuchs mitnehmen und am Bühnenrand absetzen, quasi in der Obhut des Publikums und der Band. Auch Großeltern kommen mit, vielleicht waren sie schon dabei, als das OBS noch eine Grillparty war.

Das Label selbst ist schon 20. In all der Zeit bleibt es nicht aus, dass unter den Stamm-Besuchern Kulte kultiviert werden, wie das über den ganzen Tag ausgedehnte Erzählen eines einzigen Witzes, das Chef Reinhard Holstein und sein Vize Rembert Stiewe während ihrer Moderation zelebrieren. Mancher seltsame Deckel (Samtkappe oder Cowboyhut) passt nicht zum Topf, aber zur Stimmung. Und die ist meistens warm und kommunikativ.

Im Publikum steht auch Norbert Roep. Schwarzes Jackett & T-Shirt im Stil der End-Siebziger, wie ihn die Besucher des Hamburger Clubs Knust kennen. Er kommt „erst“ seit vier Jahren hierher, aber viele der Musiker hier kennen ihn, denn die meisten waren schon Gast auf seiner Bühne. Roep ist einer der beiden Manager des Knust, das als der Auftrittsort für die Richtung Musik gilt, die das Glitterhouse vertritt: „Alternative Country“. Auch ist das Knust erste Adresse für amerikanische Neu-Folkloristen. Zu deren Urgesteinen gehört die Gruppe Hazeldine, die im Regenjahr 2001 mit getrocknetem Matsch an den Schuhen im Hamburger Logo auftraten, den sie aus dem Glitterhousegarten mitgebracht hatten.

Unter Beverunger Obstbäumen wechseln sich derweil Musiker-Legenden mit sprießenden Talenten ab, gern auch mit einer Rarität aus dem Norden – zum Beispiel Lampshade aus Dänemark: Eine blonde Björk mit Rastalocken, umringt von gitarrenschmetternden Jungs. Zudem haben sie die modischsten aller Band-T-Shirts zu bieten: cremefarbene mit aufgemaltem Lampenschirm. „People get ready“ steht auf der Bühnenrückwand. Jedes Jahr gibt es ein solches Motto. Steht „ready“ hier für „Fertigwerden“ oder für „startklar“?

Passen würde das Motto jedenfalls zur Intention der Creekdippers, der Band um Mark Olsen und Victoria Williams, die gerade mit ihrer CD Political manifest Songs wie „End of the Highway, Rumsfeld“, oder „Georg Bush Industriale“ gegen die US-Regierung geschrieben hat. Im Juli wird sie erscheinen, mitten im Wahlkampf. Und zwar bei Glitterhouse, denn in der Musikindustrie des Landes der unmöglichen Begrenztheiten ist das nicht möglich. Imke Staats