: Kompromiss ja, Vertrag nein
Zehn Tage nach dem vermeintlichen Ende des Streits im öffentlichen Dienst ist eine wirkliche Einigung nicht absehbar. Gewerkschaftschefs wollen sich heute abstimmen
„Durchbruch gelungen“. „Tarifeinigung“. „Senat und Gewerkschaften legen Streit bei.“ So lauteten vor zehn Tagen die Schlagzeilen, vom Tarifkompromiss im öffentlichen Dienst war fortan die Rede. Rechtlich in trockenen Tüchern ist jedoch noch gar nichts. Dazu muss erst ein Tarifvertrag unterzeichnet sein. Wann es dazu kommt, ist angesichts fortgesetzten Zwists völlig offen. „Wenn ich das wüsste, würde ich mein Geld als Hellseherin verdienen und Lotto spielen“, sagte die Tarifexpertin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Ilse Schaad, gestern der taz. Heute treffen sich die beteiligten Gewerkschaften zum Spitzengespräch.
Mit 18 „Eckpunkten“ waren Gewerkschafter und Senat aus den Verhandlungen gekommen. Sie sollten die Basis sein für den Tarifvertrag. An dem wurde aber auch gestern noch nicht geschrieben: „Bevor man sich hinsetzt und konkrete Sätze formuliert, sind Vorarbeiten zu erledigen“, sagte Andreas Splanemann, Sprecher der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Vorarbeiten? Klärungen eben: ob etwa eine Reinigungskraft in einer Kita unter die Bestimmungen für Kitas oder die für die Verwaltung fällt; oder was nun mit 255 neuen Lehrerstellen ist.
Diese 255 und die umstrittene Pflichtstundenzahl für Lehrer sind die zentralen Punkte im Nachklapp dessen, was ein Kompromiss sein sollte. Die GEW fühlt sich und ihre Mitgliedschaft benachteiligt, weil Lehrer im Endeffekt zwar wie andere Beschäftigte im öffentlichen Dienst weniger verdienen, aber nicht weniger arbeiten würden. Das könne die Tarifgemeinschaft der Gewerkschaften nicht hinnehmen, fordert Ilse Schaad vor dem heutigen Spitzentreffen. Die GEW habe seit vergangener Woche von ihren rund 23.000 Mitgliedern 100 verloren. 70 davon hätten sich konkret auf das Verhandlungsergebnis bezogen.
Hört man sich in diesen Tagen bei den Gewerkschaften um, ist von schlechtem Erinnerungsvermögen die Rede. Wie die GEW hat auch Eberhard Schönberg, Landeschef der Polizeigewerkschaft GdP, den Regierenden Bürgermeister so verstanden, dass er 255 neue Lehrer zusagte. Und was denkt Ver.di darüber? Sprecher Spanemann legt sich nicht fest: „Warten Sie einfach ab bis nach dem Treffen.“ Es gebe natürlich einen Streit über die Auslegung, aber: „Wir haben keinen Dissens mit dem Senat und auch nicht mit den Lehrerstellen.“
Ver.di-Landeschefin Susanne Stumpenhusen hatte am Montag nach einem erneuten Gespräch mit Wowereit gesagt, 100 neue Lehrer gebe es auf jeden Fall. GEW-Expertin Schaad schlägt angesicht dieser Aussage die Hände über dem Kopf zusammen: „Diese 100 Einstellungen sind bereits vor drei Monaten vorbereitet worden.“ Mit dem Tarifkompromiss hätten sie nichts, aber auch gar nichts zu tun.
STEFAN ALBERTI