: Hightech auf dem Bauernhof
Im Norden Münchens werden jene Leichtlaufräder hergestellt, mit denen bei der Tour de France um Siege gefahren wird. Zwei Rentner hat das eher zufällig zum Weltmarktführer gemacht
aus München CLAUDIO CATUOGNO
Wenn Heinz Obermayer sich umschaut, hier, auf dem Bauernhof im Münchner Norden, dann mischt sich manchmal ein bisschen Ungläubigkeit in seinen Blick. So skurril findet er die Geschichte selbst – seine Geschichte, die jetzt auch ein bisschen zur Geschichte der Tour de France geworden ist. Eine kleine Werkstatt zwischen Traktor-Stellplatz und Getreidescheune, die Rohre einer umgebauten Lkw-Heizung, ein Backofen vom Sperrmüll. „Hier also werden die Tour-de-France-Siege gebacken“, sagt Obermayer.
Er ist jetzt 61, Rentner seit mehreren Jahren, und trotzdem steht er sechs Tage die Woche in dieser Bauernhof-Werkstatt. Gemeinsam mit seinem Kollegen Rudolf Dierl baut er hier Fahrradräder, die leichter sind als alle anderen bei der Tour de France. Nur zwei Stück schaffen Dierl und Obermayer am Tag: die Speichen aus Kohle- und Aramidfasern von der Spule, verklebt mit etwas Wachs, gehärtet auf Stufe anderthalb in dem alten Küchenbackofen. Zum Schluss getrocknet auf einem handelsüblichen Kleiderständer. Der Rest ist Betriebsgeheimnis. Die zwei Münchner Rentner sind Weltmarktführer bei der Herstellung von ultraleichten Extremlaufrädern.
Jan Ullrich entschied sich schon beim Prolog letzten Samstag für ein Vorderrad aus der Münchner Hightech-Schmiede. Lance Armstrong bevorzugt die Lightweight-Räder in den Bergen. Wegen des extrem niedrigen Umlaufgewichts fällt der Antritt nach jeder Kurve besonders kraftsparend aus. Knapp 500 Gramm wiegt Obermayers Faserkonstruktion, „die Industrieräder bei der Tour sind mindestens 200 Gramm schwerer“. Obermayer weiß, dass es Geschichten wie diese, seine, eigentlich gar nicht geben dürfte im hoch technisierten und kommerzialisierten Sportbetrieb. Dass die Räder der Tour-Sieger irgendwo in einer verchromten Hightech-Werkstatt entstehen müssten, in der Ingenieure arbeiten und Computer rechnen, aber keine alten Küchenbackofen backen. „Aber es ist noch niemandem gelungen, unser Produkt zu kopieren“, sagt Obermayer. Dann muss er selbst ein bisschen lachen: „Weltmarktführer!“
Dierl und Obermayer kennen sich seit über 30 Jahren. Beide waren Werkzeugmacher in derselben Firma. Irgendwann haben sie damit begonnen, nach Feierabend Kupferbilder zu fertigen, aufwändig, dreidimensional, aber auch zu kitschig. „Man konnte sie in der Familie verschenken“, sagt Obermayer. Dann bauten sie Autospoiler. Aber auch das Tuning-Geschäft brachte auf Dauer wenig Ertrag ein, „heute sehen die Autos doch ab Werk schon so windschnittig aus“. Also versuchten sich die beiden im Trabrennen und fertigten Sulky-Räder – da war der Schritt zum Radsport schon nicht mehr so groß. 1990 fuhr schließlich das erste Lightweight-Extremlaufrad auf dem Münchner Sechstagerennen.
Nächtelang saßen sie da mit Kohlefasern aus der Raumfahrt und Isolierschaum aus dem Baumarkt. Haben getüftelt, zurechtgeschnitten und wieder verworfen. Nach vier Jahren waren sie zufrieden. Laut einem britischen Radmagazin hat das Laufrad die besten Ergebnisse im Windkanal. „Damit haben wir gar nicht gerechnet“, sagt Obermayer, „wir haben einfach nur ausprobiert.“
Doch all das erklärt noch nicht, wie die Räder zum Geheimtipp der Tour-Fahrer wurden – ohne Vertriebspartner, ohne Marketing, ohne eingetragene Firma. 1997 hatte Bjarne Riis über Umwege einen Satz geordert, Obermayer weiß bis heute nicht, wie die zwei Räder bei dem Telekom-Fahrer gelandet waren. Riis muss sie an Jan Ullrich weitergegeben haben, irgendwann hat Obermayer sie dann im Fernsehen wieder erkannt. „Ich hab meinen Augen nicht getraut.“ Da fuhr der spätere Tour-Sieger mit Rädern aus Obermayers Küchenbackofen. Mittlerweile ist der Kontakt zu den meisten Radställen institutionalisiert. Die Termintafel verzeichnet Vorbestellungen bis Mitte 2004. Weil Dierl zurzeit im Urlaub ist, hilft Obermayers Bruder Rudolf in der Werkstatt.
„Letztens hat Johan Bruyneel angerufen“, erzählt Obermayer, „der Trainer von Lance Armstrong, und wollte schnell noch drei Sätze für die Tour bestellen.“ Doch nur einer war noch frei, den haben sie Armstrong gerne verkauft. 2.000 Euro, Vorauskasse, da haben die beiden ihre Prinzipien. Für Armstrong kommt die Entscheidung für die Münchner Hightech-Räder allerdings noch deutlich teurer: 1.000 Euro, so heißt es, muss der vierfache Tour-Sieger pro Rennen an seinen eigentlichen Ausrüster zahlen. Konventionalstrafe – weil er sich für die Konkurrenz vom Bauernhof entscheidet.