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Archiv-Artikel

Die vielen Perspektiven, das Sehen zu lehren

Am Wochenende fand in Bremen ein Symposium zur Filmvermittlung statt. Die Beiträge offenbarten, wie vielfältig die didaktischen Möglichkeiten mittlerweile geworden sind

Gerade weil Filmvermittlung kein Teil der universitären Ausbildung ist, hat sie eine große methodische Vielfalt herausgebildet

Es ist schon ein wenig absurd. Während sich unsere Kultur mehr und mehr von einer textuellen hin zu einer visuellen beziehungsweise multimedialen wandelt, nimmt die Vermittlung von Fertigkeiten, die das Entschlüsseln visueller oder auditiver Codes erleichtern, in den Lehrplänen der Schulen und in der akademischen Lehrerausbildung hierzulande bestenfalls eine Nebenrolle ein. Dass das nicht nur ein Nachteil ist, sondern dass darin auch eine große Chance liegt, offenbarte das 14. „Internationale Bremer Symposium zum Film“, auf dem Filmvermittler und Filmtheoretiker aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Großbritannien und den USA am Wochenende ihre verschiedenen Ansätze darstellten.

Denn gerade dadurch, dass die Filmvermittlung in vielen Ländern eben nicht Teil der universitären Ausbildung ist, hat sich in den letzten Jahren eine große methodische Vielfalt herausgebildet, die zudem durch eine immer bessere Nutzbarmachung der Möglichkeiten des Mediums DVD befördert wird. In Deutschland etwa vollzieht die Bundeszentrale für politische Bildung, hierzulande eine der Hauptstützen der Filmvermittlung, langsam, aber sicher einen Wandel weg von den Filmheften, hin zu filmvermittelnden DVD-Publikationen, eine in Frankreich schon seit Längerem zu beobachtende Tendenz. Überhaupt scheinen Filme über Filme, ein Genre, das lange Zeit aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden war, wieder stärker ins Zentrum des Interesses zu rücken.

Interessant war in diesem Zusammenhang der Beitrag von Stefanie Schlüter und Stefan Pethke – beide Mitbegründer des Berliner Projekts „Kunst der Vermittlung“ –, die unterschiedliche Möglichkeiten des filmvermittelnden Films anhand von Fritz Langs Klassiker „M. Eine Stadt sucht einen Mörder“ von 1931 vorstellten.

Die Ansätze der verschiedenen Vorträge reichten von essayistischen Herangehensweisen über soziohistorische Deutungen eines Klaus Kreimeier, der „M.“ und „Metropolis“ zum Ausgangspunkt nimmt, um über die Weimarer Republik zu reflektieren, bis hin zur Unterteilung einer Szene in wesentliche Momente anhand von Fotografien, etwa durch Hartmut Bitomsky in „Kino Flächen Bunker“.

Noch mehr aus dem filmischen Material heraus argumentierte der Ansatz von Makiko Suzuki und Radha-Rajen Jaganathen, die in „M. von Fritz Lang“ jeweils zwei Einstellungen erst nacheinander, dann per Split Screen zeigen. Plötzlich erkennt man, welche Meisterschaft Lang darin entwickelt hat, Parallelismen in der Mise en scène in den Schnitt zu überführen, und begreift, wie sehr sich Gangsterboss und Polizeipräsident in „M.“ auch in Gestus und Habitus ähneln: Der eine beginnt einen Satz, der andere vollendet ihn, der eine setzt zu einer Armbewegung an, die der andere zu Ende bringt.

Cary Bazalgette, langjährige Mitarbeiterin des British Film Institute, ging es um eine praxisnahe Beschreibung des gegenwärtigen Stands der Filmvermittlung in Großbritannien, wo die Lehrer – ähnlich wie in Deutschland – nicht wirklich darauf vorbereitet werden, Film im Unterricht zu vermitteln. Bazalgette erzählte von der schwierigen Suche nach für den Unterrichtseinsatz geeigneten Kurzfilmen, die den Schülern etwas über Schnitt, Einstellungsgrößen, narrative Struktur, Genres oder Charaktere beibringen können. Unter den Beispielen, die sie dann zeigte, waren interessanterweise auch viele Werke, die ursprünglich überhaupt nicht als Kinderfilme gedacht waren.

Der Vortrag von Alain Bergala, ehemaligem Chefredakteur der Cahiers du Cinéma, war ebenfalls auf konkrete Vermittlungszusammenhänge ausgerichtet – in seinem Falle anhand einer von ihm entwickelten DVD für Lehrer zum Thema Blickwinkel im Film. Zu Beginn entwickelte er eine Art Typologie des Mediums im Kontext der Filmvermittlung. Die DVD erlaube es, „die lineare Didaktik der Videokassette“ zugunsten einer visuellen aufzugeben. Die Vermittlung sei, so Bergala, in die Struktur der DVD eingeschrieben. In „Le Point de vue“ geschieht dies dadurch, dass Bergala 51 Möglichkeiten der Variation des Blickwinkels anhand ausgewählter und hintereinandergeschnittener Filmszenen verdeutlicht, etwa den verschachtelten Blickwinkel in „Sein oder Nichtsein“ oder „La Notte“, wo sich erst nach einer Weile herausstellt, dass ein anfangs unerkannter Beobachter das Geschehen verfolgt.

Insgesamt war das Bremer Symposium eine aufgrund der Qualität der Beiträge sehr gelungene Veranstaltung. Es wurde in vielfältiger Art und Weise verdeutlicht, wie eminent wichtig Filmvermittlung ist, auch wenn gute Filme letztendlich, wie es Fritz Lang einmal gefordert hat – und auch diesen Anspruch sollte man nicht außer Acht lassen –, für sich sprechen sollten.

ANDREAS RESCH