: Am Ende geht es doch nur um die Tore
Oliver Neuville wäre gerne erste Wahl – ob im Verein oder der Nationalmannschaft. Doch in Leverkusen wurde er Ersatzspieler, die Euro verfolgt er nur am Fernsehen. Jetzt hofft er auf bessere Tage in Gladbach und die WM 2006
LEVERKUSEN taz ■ Seinen Schmerz kann er nicht verbergen. Oliver Neuville ist bei der Europameisterschaft in Portugal nicht dabei – wieder eine Europameisterschaft ohne den Flügelstürmer. „In Topform“, meint Neuville, „wäre ich wohl auch mit nach Portugal gefahren“. Doch am Ende hat ihn eine Leistenverletzung und die guten Konkurrenten Berbatov und Franca im Bayer-Dress seinen Platz in der Nationalmannschaft gekostet: „Mit Kurzeinsätzen im Verein ist es eben schwer, sich für die Nationalmannschaft zu empfehlen“.
Enttäuscht ist er, doch Nachtreten will er nicht. Der Erfolg habe Trainer Klaus Augenthaler schon Recht gegeben. Augenthaler habe sich eben entschieden, in der Restsaison und auch in Zukunft auf das bulgarisch/brasilianische Sturmduo zu setzen. „Der Trainer war immer offen zu mir. Somit war für mich klar, dass ich den Verein verlassen werde“, sagt Neuville ohne Groll. Den Kampf gegen Berbatov und Franca hätte er zwar genauso angenommen wie den gegen den Neuzugang vom 1. FC Köln, Andrej Voronin. „Vor Voronin hätte ich keine Angst gehabt“, gibt sich Neuville kämpferisch. Doch das Angebot aus Mönchengladbach sei für ihn eine neue Herausforderung gewesen. „Dort gefiel mir einfach, dass man sich um mich bemühte“. Die Perspektiven mit der „neuen“ Borussia im neuen Stadion seien positiv: „Dort versucht man einiges zu bewegen – die Aufbruchstimmung war richtig spürbar“.
Neuville hat im Sommer also viel Zeit, sich in Gladbach einzugewöhnen. Dabei hatte seine Stürmerkonkurrenz in Völlers EM-Kader mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen: Auch hier häuften sich Formkrisen, Verletzungen, Torlosigkeit. Doch Neuville bleibt versöhnlich. Dass die jüngeren Spieler wie Kuranyi oder Klose nominiert wurden, sei „völlig logisch und richtig“. Ob der Teamchef damit aber nicht schon am Kader für 2006 bastele und einen Spieler in seinem Alter dann nicht berücksichtige? Nein, das glaube er nicht: „Am Ende geht es nur um die Tore, die man schießt!“ Er habe nicht rechtzeitig zur Topform gefunden: „Gegen Belgien und Rumänien war ich zuletzt ja noch dabei. Natürlich bin ich sehr enttäuscht“, sagt der 31-Jährige.
Ohne bösen Unterton spricht er auch über die Konkurrenten aus Berlin oder Hannover. Keine Sticheleien gegen Bobic oder Brdaric: „Konkurrenz gehört zu unserem Geschäft, leider hat es mich getroffen.“ Fredi Bobic habe seine Qualitäten, die der Teamchef genau kenne. Zwar habe der Deutsch-Kroate mit mehr Spielzeit in der abgelaufenen Saison insgesamt nur ein Tor mehr erzielt, aber Völler musste sich eben entscheiden. Auch die überraschende Nominierung von Thomas Brdaric, der Neuvilles Platz bei der EM einnehmen wird oder Lukas Podolski, lässt ihn nicht zu Negativ-Äußerungen hinreißen. „Thomas hat in Hannover eine sehr gute Rückrunde gespielt und getroffen. Er war ja schon ein Thema vor der WM 2002. Podolski hat ebenfalls in der zweiten Saisonhälfte auf sich aufmerksam gemacht.“ Doch man dürfe nach einer halben Saison von dem Jungen keine Wunderdinge erwarten. Dass es am Ende ihn getroffen hat, sei eben „sehr schade, aber nicht zu ändern“.
Das Thema Nationalmannschaft abgehakt hat Oliver Neuville deshalb noch lange nicht. Viel zu gerne spiele er für Deutschland, als dass er sich schmollend verabschieden wolle. „So schnell gebe ich nicht auf. Es wäre ja einfach, jetzt aus der Nationalelf zurückzutreten. Bei der WM 2006 bin ich 33 – da will ich dabei sein.“
Eine Weltmeisterschaft möchte er gerne noch einmal erleben – und er erinnert sich an das Finale von Yokohama. „Manchmal“, sagt Neuville, „sehe ich meinen Freistoß gegen Brasilien im Finale ins Netz fliegen, statt an den Pfosten. Wären wir da mit 1:0 in Führung gegangen, wären wir wohl Weltmeister geworden“. Jetzt schaue er sich die EM halt im Fernsehen an – doch seinen Kollegen drücke er die Daumen, natürlich. KAY AUSTER