: Das Asylrecht als Falle
Seit einem Jahr sitzt ein Tamile im Abschiebeknast. Seine Asylanträge wurden aus formalen Gründen abgelehnt. Dass er in seiner Heimat Sri Lanka gefoltert wurde, spielt für die Behörden keine Rolle
VON FLORIAN HÖHNE
Kein einziges Mal ist er angehört worden, obwohl er schon seit Mai 2003 im Abschiebegewahrsam Köpenick einsitzt – so lange wie kein anderer dort. Im April ist er fast abgeschoben worden. Paramesvaran Sivabalasundaram ist Opfer von Verfahrensvorschriften und unbeweglicher Bürokratie. Jetzt protestiert der 23-jährige Tamile aus Sri Lanka mit einem Hungerstreik gegen die ständig drohende Abschiebung.
Mit einem Bühnenauftritt beginnt seine Odyssee: Im Juni 2001 spielt er in einem regierungskritischen Theaterstück. Die sri-lankische Polizei verhaftet ihn und seine Kollegen. Im Gefängnis wird Siva – so nennt er sich selbst – gefoltert und geschlagen. „Die Spuren der Misshandlungen sind an ihm deutlich zu erkennen“, sagt Martin Schröter von der Initiative gegen Abschiebehaft, der ihn in Köpenick besuchte. Die Verletzungen sind so schwer, dass er im Februar 2002 in eine Klinik verlegt werden soll. Auf dem Weg dorthin kann er fliehen.
Bis nach Deutschland schlägt sich der damals 21-Jährige durch. In der Nähe von Cottbus wird Siva jedoch ohne Papiere festgenommen. Um freizukommen stellt er am 14. Juni 2002 einen Asylantrag. Tatsächlich wird er entlassen. Er reist nach England, seinem eigentlichen Ziel.
Auch dort beantragt er Asyl. Das wird acht Monate später abgelehnt, weil er bereits einen Asylantrag in Deutschland gestellt hatte. Im Mai 2003 wird er nach Berlin abgeschoben und am Flughafen Tegel vom Bundesgrenzschutz empfangen. Denn auch die deutschen Behörden hatten seinen Asylantrag zwischenzeitlich abgelehnt – wegen mangelnder Mitwirkung des Antragstellers: Siva war nicht zur Anhörung erschienen, weil er gerade in England Asyl beantragte. Die Ausländerbehörde will ihn sofort nach Sri Lanka abschieben – aber das geht nicht ohne Ausweispapiere. So kommt Sivabalasundaram in den Abschiebeknast, wo er noch heute ist.
Siva habe immer wieder Asylfolgeanträge gestellt und könne deshalb nicht abgeschoben werden, begründet Henrike Morgenstern, Sprecherin der Innenverwaltung, die lange Haft. „Außerdem verzögert sich die Abschiebung, weil Sivabalasundaram bei der Beschaffung von Reisedokumenten nicht kooperiert.“
Kein Wunder: Einen Pass-Antrag zu unterschreiben ist Siva zufolge gleichbedeutend mit der Unterzeichnung seines eigenen Todesurteils. „Ich bin aus dem Gefängnis in meinem Land geflohen, wo ich gefoltert und brutal geschlagen wurde“, sagt er. „Die Situation dort ist lebensgefährlich für mich.“
Mit seinem ersten Antrag hätte Siva vielleicht Chancen auf Asyl gehabt. „Es wäre sicher zu einem längeren Gerichtsverfahren gekommen“, schätzt Magdalena Holtkötter, Sivas Anwältin: „Er wäre frei gewesen, und wir hätten mehr Zeit gehabt Beweise beizubringen.“ Doch Inhaltliches war für die deutschen Behörden ohnehin nicht von Belang: Drei Asylfolgeanträge und unzählige Eilanträge auf vorläufigen Rechtsschutz blieben ohne Erfolg. „Nie hat man ihn angehört“, berichtet Holtkötter. Denn für einen erfolgreichen Asylfolgeantrag müsse man Beweise vorlegen, die beim Erstantrag – also im Juni 2002 – noch nicht hätten gezeigt werden können. „Unsere Beweisunterlagen sind alle von 2001“, so Holtkötter.
Die Argumentation der Behörden ist stets dieselbe: Sivabalasundaram hätte alle Angaben im ersten Verfahren machen müssen und können. Damals hätte er seine politische Verfolgung beweisen können. Damals war er aber in England.
Volker Ratzmann, Fraktionschef der Berliner Grünen und zuständig für Inneres, Justiz und Flüchtlinge, kritisiert diesen Teufelskreis der Bürokratie: „Das ist ein typischer Fall, in dem Formalismus über Menschlichkeit siegt“, sagt er. „Die Behörden müssen alles tun, um der Humanität den Vorzug zu geben.“
Bislang hat die Humanität keinen Vorzug: Siva „verweigert die amtlich angebotene Nahrung“, wie es die Innenverwaltung formuliert. Er will angehört werden und um keinen Preis zurück nach Sri Lanka. Sein dritter Asylfolgeantrag ist gerade abgelehnt worden. Seine Anwältin hat wieder Einspruch eingelegt.