: „Wir sind auf dem Weg nach Guantánamo“,sagt Gerhart Baum
Eine Lex Kaplan wäre populistisch und gefährlich – rechtstaatliche Regeln gelten auch für die Gegner der Verfassung
taz: Herr Baum, können Sie die öffentliche Aufregung über den Fall Kaplan nachvollziehen?
Gerhart Baum: Nein, überhaupt nicht. Sie war von Hysterie geprägt. Ich habe den Eindruck, es sollte ein Exempel statuiert werden. Die meisten Politiker haben hier einfach die Maßstäbe verloren. Natürlich muss man gegen Herrn Kaplan vorgehen. Aber man muss ebenso die Kraft haben, auch für die Gegner unserer Verfassungsordnung die Regeln des Rechtsstaats gelten zu lassen. Ich halte es für ganz grotesk, dass sich Herr Schily schon seit längerem persönlich mit Herrn Kaplan so intensiv auseinander setzt, als hinge das Wohl und Wehe unseres Staates von dem Schicksal dieses Mannes ab. Warum diskutieren wir nicht die vorhandenen Defizite bei der Terrorismusbekämpfung? Das wäre viel wichtiger.
Mit seinem kurzzeitigen „Verschwinden“ hat Kaplan verhindert, in Abschiebehaft genommen zu werden. Der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens meint, dadurch habe der Islamist „endgültig jedes Bleiberecht in unserem Land verspielt“. Zu Recht?
Ich verteidige nicht Herrn Kaplan. Dennoch: Herr Behrens hat nicht dazugelernt! Er muss doch wissen, dass letztlich über Bleiben oder Nichtbleiben auch in diesem Fall die Gerichte entscheiden. Wir sind nicht in einem Land, wo nach Gutsherrenart über solche Fragen entschieden werden kann. Es gibt noch Richter in unserem Land. Daran muss man die Politiker wohl erinnern.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hat festgestellt, die Zulässigkeit der Abschiebung dürfe wegen einer möglichen Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht „vorläufig keine tatsächlichen und rechtlichen Folgen“ haben. Doch das Kölner Ausländeramt wollte Kaplan – wohl in Abstimmung mit dem Landes- und dem Bundesinnenministerium – Mittwoch vergangener Woche festnehmen und per Blitzabschiebung in die Türkei verfrachten.
Es sollten offensichtlich Fakten geschaffen werden. Das war falsch und ein Beispiel für unüberlegtes, eilfertiges populistisches Handeln. Es hat sich ja herausgestellt, dass der Haftbefehl nur sechzehn Stunden aufrechterhalten werden konnte. Er war auf Sand gebaut. Ich hätte erst mal ganz nüchtern das Urteil gelesen.
Die FDP hat den Rücktritt von Behrens gefordert, weil dieser nicht die lückenlose Überwachung Kaplans gewährleistet habe. „Jeder Steuerhinterzieher wird besser überwacht als dieser Schwerkriminelle“, polterte Parteichef Guido Westerwelle. Teilen Sie seine Ansicht?
Erstens: Auch Steuerhinterzieher sind Kriminelle. Zweitens stellt sich doch die Frage, ob eine solche lückenlose Überwachung überhaupt rechtlich zulässig und geboten gewesen wäre? Tatsache ist, dass auch Herr Westerwelle über das Ziel hinausgeschossen ist. Als Jurist müsste er es eigentlich besser wissen.
Westerwelle hat im Fall Kaplan in den Chor der Scharfmacher eingestimmt. Früher ist die FDP mit dem Eintreten für Grund- und Freiheitsrechte in den Wahlkampf gezogen.
Die rechtsstaatliche Komponente der FDP-Politik ist schwächer geworden, das stimmt. Aber vergessen Sie nicht: Die FDP war die einzige Partei, die das Schily’sche Sicherheitspaket abgelehnt hat. Am Wochenende gibt es auf dem FDP-Parteitag einen neuen Versuch, Rechtsstaatspolitik nach vorne zu bringen – mit dem Rückenwind des Lauschangriffsurteils, das von FDP-Mitgliedern erstritten wurde.
Der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber will, dass „mit Hasspredigern wie Kaplan künftig kurzer Prozess gemacht wird“. Sind – als Konsequenz der vergangenen Tage – weitere Gesetzesverschärfungen notwendig, wie sie beispielsweise die Union fordert?
„Hassprediger“ – schon das Wort allein! Mit dem soll ja etwas aufgebaut werden, was schon die Entscheidung bedeutet: „Hassprediger“ müssen raus! Das ist ein Kampfbegriff und kein juristischer. Ich sehe hier eine ganz schlimme Entwicklung, die ich für das Gefährlichste halte, was überhaupt diskutiert wird. Wir begeben uns vom Strafrecht weg zu Sonderregelungen zur Terrorismusbekämpfung. „Feindstrafrecht“ wird das auch genannt. Wir sind auf dem Weg nach Guantánamo. Die verfassungswidrige Sicherungshaft ist ein Stück dieser Diskussion, die auch andere Elemente hat: Der vorbeugende Todesschuss, der vorbeugende Flugzeugabschuss und die Folterdiskussion – alles dies sind Elemente einer ganz gefährlichen Diskussion, wo einige versuchen, die Grundgesetzordnung zu verlassen.
Welche Konsequenzen sollten aus dem Fall Kaplan gezogen werden?
Die Politiker müssen populistischen Versuchungen widerstehen – trotz der Bild-Zeitung und anderer. Sie sollten aus der Niederlage im NPD-Verbotsverfahren und aus dem wegweisenden Lauschangriffsurteil des Bundesverfassungsgerichts gelernt haben: keine Lex Kaplan. Es ist schlimm, wenn Politiker sofort nach neuen Gesetzen rufen, wenn die Gerichte nicht so funktionieren, wie sie wollen. Ich verlange von den Politikern, dass sie der Bevölkerung erklären: Auch der Gegner der Verfassung kann die Rechte unseres Rechtsstaats in Anspruch nehmen. Diese Rechte dürfen nicht beschnitten werden und ihre Inanspruchnahme haben wir nicht übel zu nehmen.
INTERVIEW: PASCAL BEUCKER