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Prozess gegen Kriegsverbrecher

Der UNO-Sondergerichtshof zu Sierra Leone beginnt das erste Verfahren. Angeklagt sind drei frühere Führer regierungstreuer Milizen, darunter ein Exminister und ein für die Initiierung von Kindersoldaten zuständiger „Hohepriester“. Weitere folgen

VON DOMINIC JOHNSON

Der UN-Sondergerichtshof für Sierra Leone hat gestern in der Hauptstadt Freetown seinen ersten Kriegsverbrecherprozess eröffnet. Samuel Hinga Norman, Moinina Fifana und Allieu Kondewa werden beschuldigt, als Führer der regierungstreuen „Civil Defence Forces“ während des Bürgerkrieges von 1991 bis 2000, auch als „Kamajor“-Miliz bekannt, für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich gewesen zu sein. Die Angeklagten plädierten auf nicht schuldig.

Der 2002 gegründete Sondergerichtshof ist nach den UN-Tribunalen für Ruanda und Exjugoslawien das dritte und voraussichtlich letzte internationale Tribunal für Kriegsverbrechen in einem bestimmten Land. Er ist für alle Kriegsverbrechen in Sierra Leone seit dem 30. November 1996 zuständig – Datum des ersten Friedensvertrages zwischen Sierra Leones Regierung und den Rebellen der „Revolutionären Vereinigten Front“ (RUF).

Die RUF hatte 1991 den bewaffneten Kampf in Sierra Leone aufgenommen, unterstützt von Liberias Rebellenführer Charles Taylor, ab 1997 gewählter Präsident Liberias.

Wechselnde Regierungen in Freetown, zuletzt die des gewählten Präsidenten Ahmed Tejan Kabbah, schlugen die Rebellen mit Hilfe von Eingreiftruppen aus Nigeria und Großbritannien sowie eigenen Milizen zurück. Eine große UN-Blauhelmmission überwachte einen Friedensprozess. Ende 2000 erklärte die RUF den Krieg für beendet. Seitdem verlagerte sich das regionale Kriegsgeschehen nach Liberia und in die Elfenbeinküste.

Charles Taylor, der seit seinem Sturz im August 2003 in Nigeria im Exil lebt, ist der prominenteste Angeklagte. Aber auf ihn hat das Gericht zunächst keinen Zugriff. Zwei weitere prominente Angeklagte, der frühere Militärdiktator Johnny Paul Koroma und der frühere RUF-Militärchef Sam „Mosquito“ Bockarie, sind ebenso wie der frühere RUF-Führer Foday Sankoh inzwischen tot. So bleiben noch neun Angeklagte aus allen wesentlichen Kriegsparteien übrig.

Die Verfahren beginnen nun mit den regierungstreuen Kamajor-Milizen. In Gebieten, wo die RUF aktiv gewesen war, jagten die Milizionäre die Bevölkerung als mutmaßliche „Kollaborateure“, heißt es in der Anklageschrift. „Opfer wurden oft erschossen, zu Tode gehackt oder bei lebendigem Leibe verbrannt … Andere Praktiken schlossen Menschenopfer und Kannibalismus ein.“ Ziel sei gewesen, sagen die Ankläger, „die Zivilbevölkerung zu bedrohen und zu terrorisieren“.

Sam Hinga Norman war während des Krieges als Vizeverteidigungsminister Koordinator und Chefkommandant der Kamajor. Ihm unterstellt waren Moinina Fofana als zweithöchster Kommandeur der Miliz und Allieu Kondewa als „Hohepriester“, zuständig für Initiationsriten und „Sondermissionen“.

Verfahrensfragen vor der Prozesseröffnung drehten sich vor allem um den Anklagepunkt der Rekrutierung von Kindersoldaten, womit die Anklage Kinder unter 15 Jahre meint. Am 1. Juni lehnte die Berufungskammer einen Antrag der Verteidigung ab, wonach das 1996 noch erlaubt gewesen sei. Am 28. Mai wies das Gericht einen Antrag der Verteidigung zurück, eine Richterin wegen früherer Mitarbeit an Berichten des UN-Kinderhilfswerks Unicef für befangen zu erklären. Am 20. Mai stellte sich das Gericht gegen den Antrag der Ankläger, die Klage auf geschlechtsspezifische Verbrechen wie Vergewaltigung zu erweitern – das hätte die Prozesseröffnung verzögert.

Die Anhörungen laufen zunächst bis zum 22. Juni und werden dann im September wieder aufgenommen. Am 5. Juli beginnt außerdem der Prozess gegen die angeklagten RUF-Führer. Die zu erwartenden ausführlichen Erörterungen von Kriegsverbrechen, die von der Regierung des noch immer amtierenden Präsidenten Kabbah begangen wurden, dürften zu politischen Spannungen führen. Kabbah hatte Sam Hinga Norman erst 2002 vom stellvertretenden Verteidigungsminister zum Innenminister befördert.

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