: Hoher Preis für sauberen Müll
Abfall darf demnächst nicht mehr einfach so auf die Deponie, er muss verbrannt oder vorbehandelt werden. Die Entsorger warnen: Dafür fehlen vor allem im Osten die Kapazitäten, und so könnten die Müllgebühren vielerorts um 30 Prozent steigen
VON ARMIN SIMON
Einfach auf die Deponie abkippen ist nicht mehr. Hausmüll, Sperrmüll und Gewerbeabfälle müssen von Juni nächsten Jahres an entweder verbrannt oder mechanisch-biologisch vorbehandelt werden. So sieht es eine Verordnung der Bundesregierung vor. In einigen Kommunen, warnte der Bundesverband der Entsorgungswirtschaft (BDE) gestern, könnten die Müllgebühren dann um bis zu 30 Prozent steigen.
Tiefer in die Tasche greifen müssen BürgerInnen für die Entsorgung ihres Mülls vor allem dort, wo Müll bisher besonders billig auf der Deponie landet. Mehr als die Hälfte der gut 300 Müllhalden bundesweit nämlich muss im nächsten Jahr schließen. Der Grund: Die Abkippen erfüllen nicht die neuen Umweltstandards. Einige Kommunen, sagt BDE-Sprecherin Petra Blum, hätten daher in den letzten Jahren ihren Deponieraum zu Dumpingpreisen angeboten. Die Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass dort die Abfallgebühren drastisch in die Höhe gingen.
Die neuen Müllvorschriften seien ein ökologischer Fortschritt, findet das Bundesumweltministerium. Klar ist jedoch: Die Entsorgungskapazitäten werden erstmal knapper. Unausgelastete Verbrennungsanlagen, in den letzten Jahren die Regel, wird es nächstes Jahr nicht mehr geben. Ob zum Stichtag tatsächlich genügend Rotte- und Verbrennungsanlagen zur Verfügung stehen werden, dafür will derzeit niemand seine Hand ins Feuer halten. Man gehe davon aus, dass die nötigen Entsorgungskapazitäten zum 1. Juni 2005 „oder kurz danach“ zur Verfügung stehen werden, sagt der Abfallexperte im Umweltbundesamt, Bernd Engelmann. BDE-Sprecherin Blum weiß: „Es gibt Regionen, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben.“
Insbesondere in Thüringen, Brandenburg und Sachsen fehlt es nach der jüngsten Erhebung aller Landesumweltminister noch an Entsorgungskapazitäten. Auch in Schleswig-Holstein und Hessen sieht es demnach eher mager aus. Thüringen etwa verfügt bislang über Behandlungskapazitäten für ganze 55.000 Tonnen Müll pro Jahr – bei einem jährlichen Müllaufkommen von 675.000 Tonnen. Selbst wenn alle geplanten Anlagen bis in einem Jahr in Betrieb gehen würden und man alle Müllexportverträge, die bis dahin geschlossen sein sollen, dazu rechnet, bleibt ein Müllberg von 76.500 Tonnen im Jahr übrig, für den es bislang keine Lösung gibt.
Ausnahmegenehmigungen, die es den bedrängten Kommunen ermöglichen würden, ihren Müll weiterhin unbehandelt auf die Deponie zu kippen, schließt das Bundesumweltministerium allerdings aus. Länder und Kommunen hätten schließlich zwölf Jahre lang Zeit gehabt, die entsprechenden Anlagen zu planen und zu bauen. Jetzt komme allenfalls noch eine Zwischenlagerung in Betracht – so lange, bis die Abfälle dann verbrannt oder mechanisch-biologisch behandelt werden könnten.
Die große Unbekannte in den Prognosen der Länder ist der Gewerbemüll. In vielen Fällen waren für dessen Entsorgung bislang die Gewerbetreibenden selbst zuständig – ein verlockendes Angebot, solange die Müllverbrennungsanlagen nicht ausgelastet waren und den Gewerbemüll daher zu günstigen Preisen abnahmen. Steigen die Verbrennungspreise im nächsten Jahr, prophezeien Experten, könnten viele Betriebe ihren Müll wieder den Kommunen überlassen – vier bis fünf Millionen Tonnen Müll, die in den bisherigen Kalkulationen nicht berücksichtigt sind.
Ein Entsorgungsnotstand droht laut Engelmann aber nicht. Der zusätzliche Müll könne vielmehr in Kohlekraftwerken mit verfeuert werden. Bei einem Müllanteil von drei bis fünf Prozent seien in den meisten Fällen noch nicht einmal neue Abgasfilter erforderlich.