: Viele Ungereimtheiten
Vor dem Landgericht wird der Prozess gegen eine junge Mutter um den Tod ihres Babys wieder aufgerollt – und der bekanntermaßen gewalttätige Vater im Gericht verhaftet
Ein Baby liegt mit schwersten Verletzungen im Rinnstein, fünf Tage später ist es tot. Die Eltern des nur fünf Monate alten Kindes sind jung und psychisch labil. Kennen gelernt hatten sie sich 2004 in einer Kriseneinrichtung für Drogenabhängige. Zwei Monate bevor Santino starb, hatte sich Sabrina R. von ihrem Freund getrennt. Er habe sie geschlagen, sagte die 25-Jährige jetzt vor dem Landgericht Berlin. Dort wird nun bereits das zweite Mal gegen die Mutter verhandelt.
Die Staatsanwältin sieht in ihr diejenige, die ihren Sohn im November 2006 misshandelt und dann hinter dem Vorderrad eines geparkten Autos abgelegt hat. Im Dezember 2007 war die schuldunfähige Sabrina R. wegen Totschlags dauerhaft in die Psychiatrie eingewiesen worden. Doch das Urteil wurde vom Bundesgerichtshof beanstandet, weil die Beweise für eine Täterschaft des Vaters Benjamin W. nicht genügend gewürdigt worden seien. Im zweiten Prozess belastet Sabrina R. ihren Exfreund. Er sei mit dem Kind aus ihrer Wohnung verschwunden, kurz darauf habe sie Santino unterm Auto gefunden.
Doch der 24-Jährige wehrt sich vehement gegen diese Version: „Ich bringe doch meinen Sohn nicht um, ich bringe doch keine Kinder um!“, sagt er vor Gericht. Die Adresse seiner Exfreundin habe er aus der Zeitung erfahren, vorher habe er diese nicht gekannt. Doch warum beschuldigt ihn Sabrina? „Sie hasst mich, weil ich sie geschlagen habe.“
Nach seiner Aussage wurde Benjamin W. verhaftet: Seit Sommer vergangenen Jahres hatte ihn die Justiz vergeblich zum Antritt der Haft geladen, zu der er wegen Körperverletzung, Diebstahl und Schwarzfahren verurteilt worden war. Der Zeuge war darauf vorbereitet, seine gepackte Tasche hatte er in den Verhandlungssaal mitgebracht. Schon seit Jahren beschäftigt das Aggressionspotenzial des Benjamin W. die Justiz. Doch ist er auch derjenige, der seinen Sohn getötet hat?
Für eine klare Antwort gibt es zu viele Ungereimtheiten: So etwa war die Wohnung abgeschlossen, der Schlüssel steckte von innen, obwohl Sabrina behauptete, sie sei dem Ex mit dem Schlüsselbund gefolgt, damit der den Kinderwagen abschließen könne. Auch boten ihre Eltern neuen Stoff für Vermutungen. Sie schilderten, wie ihre Tochter nach der ersten gescheiterten Beziehung mit einem ebenfalls gewalttätigen Mann alles entsorgte, was an die Vergangenheit erinnerte. Eliminierte sie darum auch ihren Sohn? Verteidiger Mirco Röder möchte derzeit keine Prognose über den Ausgang des Prozesses stellen. Möglicherweise wird dieser Fall ähnlich wie der Tod eines anderen Säuglings niemals strafrechtlich geahndet. UTA EISENHARDT