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Archiv-Artikel

Das Tier vor mir

Was sich bewegt, zieht mich an: Die Filmhistorikerin Gertrud Koch blickt in einem Vortrag in der Ringvorlesung „Transfigurationen“ auf Tiere im Film, die Liebe zu Katzenfrauen und die Verführung durch das Muskelspiel

Junge Filmwissenschaftler scheinen früh in die Ferien zu starten. So waren die Reihen der Zuhörer etwas licht, als Gertrud Koch, Professorin der Filmwissenschaft der Freien Universität und beteiligt am Graduiertenkolleg Körperinszenierungen, in der Ringvorlesung „Transfigurationen“ ihren Vortrag hielt.

Selbst schuld: Wer nicht kam, hat verpasst, von den Transformationen menschlicher und tierischer Körper im Film zu hören, von der Liebe zu Katzenfrauen und zu Affen, von der Schönheit der Bewegung der Muskeln und der Fremdheit des Blicks. Filmhistorische Vorlesungen gleichen in einem Punkt der Erinnerung an Schulstunden: Wenn die Jalousien geschlossen, das Licht herabgedreht wird und der Videobeamer anspringt, steigt die Erwartung jedes Mal, es gäbe nun eine Belohnung für die zuvor geleistete Anstrengung, den Thesen des Lehrers zu folgen.

Wie wir sehen, was unsere Erwartung bestimmt und was unseren Blick konditioniert, nimmt Gertrud Koch stets in ihren Analysen mit auf. Ihre Beobachtung ist in ständiger Bewegung zwischen dem Bild auf der Leinwand und der Wahrnehmung des Betrachters. Dabei interessiert sie sein ganzer Körper und wie er sich mit allen Organen der Wahrnehmung zum Kinobild ins Verhältnis setzt.

Die Bewegung ist auch das Medium, in dem sich die Technik des Films und die Inszenierung des Tieres begegnen. Die Identifikation mit dem Tier im Bild funktioniert immer dann am besten, führte Gertrud Koch aus, wenn wir vom Rhythmus seiner Bewegung somatisch affiziert werden, wenn das Spiel der Muskeln uns suggeriert, diesen Körper und seine Zustände der Spannung zu verstehen. Dann wird das Tier zu einem doppelten Zeichen, denn neben die symbolische Bedeutung tritt dann die emphatische Einfühlung. So kann das Tier im Film dort zum Ausdrucksträger werden, wo ein Versagen der Sprache beschrieben werden soll. Der Blick des Tieres aber entzieht sich der Identifikation. Wir teilen mit unseren Körpern zwar die Welt der Tiere, aber wir sehen nicht den gleichen Raum.

Einem Panther verliebt in die Augen zu sehen, daran scheiterte schon Paul Schrader in seinem Remake des Films „Cat People“, der, wo er Wildheit versprach, ins Lächerliche abglitt. Am Vergleich von Schraders misslungenem Versuch, das Genre des Katzenfilms gegen sich selbst zu wenden, mit Jacques Tourneurs altem B-Picture „Cat People“ zeigte sich zudem, dass Billigproduktionen oft das beste Material abgeben, um der Semantik der Bilder auf die Spur zu kommen. Das würzt die Wissenschaft vom Film mit heimlichem Vergnügen. Kochs literarische und philosophische Gewährsleute sind Ludwig Wittgenstein, Sigmund Freud und Elias Canetti. Sie alle haben über den Wunsch geschrieben, sich mit dem Tier zu identifizieren, und über das Missverständnis, es zu verstehen. Dessen ungeachtet bleibt die Anziehungskraft seiner Schönheit.

Peter Greenaway und Nagisi Oshima haben sich in ihren Filmen „A Zed and two Noughts“ und „Max – Mon Amour“ mit einer Ironisierung der Projektionen beschäftigt, mit denen der Mensch das Tier immer wieder belegt. Wie der Mensch daran scheitert, nicht in das Fühlen und Denken des Tieres eindringen zu können, und damit die Illusion verliert, an der Spitze der Evolution zu stehen, wird in skurrilen Geschichten von der Eifersucht auf tierische Liebhaber verhandelt. Die Rede über das Tier im Film scheint zunächst eine sehr spezielle Frage. Doch bald zeigte sich, dass sie immer wieder anthropologische Kategorien berührt. Über das Verhältnis zum Tier stellt sich heraus, was wir von uns als Mensch halten. So kann uns das Tier zwar fremd bleiben und doch trägt uns seine Bewegung auf der Leinwand näher an uns selbst heran.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Literatur von Gertrud Koch: „Auge und Affekt. Wahrnehmung und Interaktion“ (1995), „Kunst als Strafe. Zur Ästhetik der Disziplinierung“ (2003)