: „Ich hab IHN allen gezeigt!“
Zeitgenössische Epik & Prosa am Bau: Die Memoiren des Maurers Stepan Essensberg
Vor vier Wochen habe ich mich verabschiedet. Von der Baustelle. Ein Abschied für immer. Aber es gibt noch vieles zu sagen. Vieles, das ich runtergeschluckt habe in vielen Jahren. Das jetzt raus muss. Ohne Rücksichten. Es wird mich vieles kosten. Zeit und Nerven. Vielleicht auch Freunde. Aber ein Stepan Essensberg kann gut auf Freunde verzichten, die die Wahrheit nicht vertragen! Und ich will die Wahrheit sagen. Einiges wird Sie überraschen. Und manches auch anmachen. Egal!
Mein Buch heißt nicht ohne Grund: „Ich hab IHN allen gezeigt!“. Denn darum geht’s. Um eine verlogene Welt, in der man unangenehm auffällt, wenn man zeigt, dass man mehr hat als andere. Und ich habe mehr als die meisten. Mehr in den Armen, mehr im Kopf, mehr in der Hose.
Viele meinen, ich sei nichts weiter als ein schlichter Maurergeselle. Aber viele wissen auch: Wenn’s um Putz geht, dann gibt es keinen Besseren als den Stepan! (Bei Estrich übrigens auch.) Ich hab mir den Ellbogen selbst dann nicht verbinden lassen, als ein Eimer Löschkalk drauffiel. Also werd ich mir den Mund erst recht nicht verbinden lassen. Sie werden von mir reichlich unangenehme Dinge über deutsche Baustellen hören. Der Nation werden die Ohren klingeln. Aber ein „Esse“ schweigt nicht, nur weil irgendein Spießer etwas nicht hören will!
Zum Beispiel die Geschichte mit der geilen Blondine. Sie hieß Claudia. Claudia Brunz. Jeden Tag lief sie an unserer Baustelle vorbei. Es war Frühsommer. Der Himmel strahlte blauer als meine Augen. Die Luft roch nach Paco Rabauce – mein Lieblingsparfüm. Die Kollegen und ich waren ganz vertieft in die Pläne des Architekten.
Da spazierte sie vorbei. Ich kannte sie schon lange. Als Frau eines Zimmermanns von der Tiefgaragenbaustelle gegenüber. Beim Richtfest hatte ich ihr ein Würstchen spendiert. Und mit tiefer Stimme gesagt: „Es gibt größere …“ Sie verstand – und lachte herzhaft. Schon damals ahnte ich: Diese Frau ist nicht glücklich mit ihrem Leben. Ich verschaffte ihr einen extra dicken Klecks Senf zur Wurst.
Also … sie stolzierte an unserer Baustelle vorbei. Und mein Herz sagte: „Wumm!“ Ich ließ die Blaupause fallen und pfiff der Claudia im heißen Minirock hinterher. Sie drehte sich kurz um. Und lächelte. Da hatten wir beide plötzlich Kettensägen im Bauch. Ich rannte ihr nach. Sie hatte im „Arabella“ ein Zimmer gebucht. Hinterher saßen wir auf dem Bett, redeten, lachten und aßen Pizza.
Ich kenne, auch wenn „Latte“ es bestreitet, alle Pizza-Bringdienste der Welt. Und habe für die Claudia und mich die beste Quattro stagioni der Stadt bestellt. Mit Peperoni. Ein Stepan Essensberg ist kein Kostverächter! Er lässt gerne was springen, wenn’s ihm schmeckt. Obwohl – mit der Mozzarella hat der Pizza-Service ziemlich gegeizt damals. Aber im Gegenzug hab ich’s mit dem Trinkgeld auch nicht übertrieben …
Das Leben im Bautrupp ist kein Zuckerschlecken. Auch für einen „Esse“ nicht. Aber die Härten sind zu ertragen – wenn man weiß, was man will. Als ich mit diesem faszinierenden Beruf anfing, habe ich Vorbilder gehabt. Da war z. B. dieser Verschalungskönig namens Lothar. Spitzname: „Latte“. Wir jungen Stifte hatten alle einen Wahnsinnsrespekt vor ihm. Ich habe heute noch allergrößte Bewunderung für seine sichere Hand an der Wasserwaage. Aber als Mensch …
„Latte“ war ein Fachmann darin, sein Maul überall aufzureißen. Er hatte immer dicke Backen. Bei seiner Alten zu Hause hatte er jedoch nichts zu melden. Ein Stepan Essensberg versteht es ja, wenn einer sich dicke tut. Doch es sollte auch was dahinter stecken.
Ich malochte mit „Latte“ zusammen auf der „Saturn“-Baustelle in Hildesheim. Der ganze Trupp lachte über „Latte“, als er mal in der Mittagspause Nudeln zu den Königsbergern verlangte. Nudeln! Wir anderen waren mit Kartoffeln völlig zufrieden. Schlimm, wenn ein einfacher Mann so durchdreht!
Viel erlebt – viel erlitten. Ich möchte tausende Dinge erzählen. Wenn ich mich nur an sie erinnern könnte. Aber das habe ich nicht vergessen: Meine ersten Tage als Azubi. Wieso darf jemand jemand anderen zusammenscheißen, nur weil er eine Kelle mit Firmenlogo am Blaumann trägt? Unter der Dusche hätten wir einiges – von Mann zu Mann – klären können. Und ich weiß: Der Ausbilder hätte „den Kürzeren“ gezogen …
Sei’s drum. Immerhin hab ich als kleiner Stift gelernt, Playboy und Coupé auf DIN-A5 zu falten. Mein einziges Vergnügen, was das weibliche Geschlecht anging, war damals übrigens Praline. Meine liebste Seite hieß „Moni’s Spalte“. Da habe ich mehr über die Frauen gelernt als im Konfirmationsunterricht.
Und ich weiß: Die Weiber wollen es dauernd. Wie ich. Trotzdem: Das Vaterunser wird bei mir kein Mädel jemals erschüttern. Denn der Papst ist für mich der Papst unserer Zeit.
AUFGEZEICHNET VON GERT OCKERT