theater
: Im kühnen Schwung am Trapez über das demolierte Kalk hinweg

Kalk – das ist das kölsche Sorgenkind. Köln-Kalk, dieser Name steht für abgewickelte Industriebetriebe und unklaren Strukturwandel, für Migrationsprobleme und Kriminalität. Dabei könnte der Stadtteil ganz anders sein. Wie? Mit dieser Frage beschäftigt sich auf sehr eigene Weise ein Theaterabend der Bühnen Köln – wohl der letzte in der Halle Kalk. Schade: Diese Inszenierung ist so kreativ und spektakulär, so passend für einen Stadtbezirk, der über seine Zukunft nachdenkt, und so perfekt für eine Spielstätte wie die Halle Kalk, die ungeahnte Möglichkeiten bietet, wenn man sie nur nutzt.

Das Stück „Die Döner-Schaltung“ nutzt sie. Das Stück? Eher die Stücke: Regisseur Manos Tsangaris (als Komponist ein Schüler Mauricio Kagels, daneben textlich, bildnerisch und installativ tätig) hat ein multimediales Stationentheater entworfen: Weit entfernt von eindeutigen Handlungsverläufen und einem festen Sitzplatz steuert das Publikum in Eigenregie neun Spielorte an, drei davon frei zugänglich, für alle übrigen muss man anstehen, denn sie liegen versteckt in Schalt- und Abstellräumen. Nur Kleingruppen haben Zutritt: Zwei bis sechs Schauspieler agieren für fünf bis zehn, oft nur drei Zuschauer in Zimmern, so schummrig wie Dunkelkammern, so intim wie Boudoirs.

Es gibt ein übergeordnetes Thema: Kalk in den kühnsten Träumen. Kalk als Paradies der Zukunft. Kalk als Assoziationsraum: Eher abstrakt werden hier Visionen entworfen, das Publikum soll mitdenken, mitträumen, mitspinnen, seinen eigenen Kalk-Parcours beschreiten, sein Bild vom schönen, neuen Kalk entwerfen. Eine Kalkutopie.

Anregungen gibt es genug: In der „Villa Kalka“ schwingt sich ein Trapezkünstler in die Lüfte – weit über Maschinenteile in der Art hinaus wie sie in dieser Halle einmal produziert wurden. In „Sprechen Sie Kalk?“ ist die urbane Problemzone zu einer Art rechtsrheinischer Schweiz mutiert: Der Ort, der von sich sagt: „Bei uns gibt es nicht mehr die übliche Kriminalität, kein absichtsvolles Dem-anderen-schaden-Wollen“, dieser Ort ist ein begehrtes Einwanderungsparadies geworden, in dem Klangschalenmusik an die Ruhe und Harmonie tibetanischer Klöster erinnert.

Eine weitere Station zeichnet ein Bild von Opulenz und Farbenpracht: Wie in einem Serail liegt eine reich geschmückte Haremsdame auf der Ottomane, beschwört zwischen Plüsch und Lilien die unfertige „himmlische Stadt“, spricht poetisch und sinnlich zugleich die Namen von Blumen nach. In wieder einem anderen Kabuff sucht ein Forscher nach der Formel für die „Döner-Schaltung“, die der Produktion den Namen gab und die nicht nur den Grill, sondern die ganze Döner-Hochburg Kalk zum Rotieren bringen soll.

Ein Stadtteil wartet auf das erlösende Zauberwort – Tsangaris‘ Bühnenideen haben Metropolenniveau und wären einer Kulturhauptstadt würdig gewesen. Zukunftstheater in einer Halle, die dicht macht – welch bittere Ironie, leider. Holger Möhlmann

„Die Dönerschaltung“: Halle Kalk, Neuerburgstraße, Köln, Tel. 0221/22 12 84 00, nächste Vorstellungen: 8., 9. und 12. Juni, jeweils 20 Uhr