: Am Anfang war die Plastiktüte
Holger Meins trifft die Mainzelmännchen, und Revolutionäre verwirklichen ihre bürgerlichen Träume: Das 20. Internationale Kurzfilmfestival wird heute Abend im Metropolis eröffnet. Sechs Tage lang laufen in vier Kinos Filme aller Formate
Von Tim Gallwitz
Damals, als alles begann, wurden die Filme des ersten Hamburger Kurzfilmfestivals in der Plastiktüte zur Vorführung ins Metropolis transportiert. Damals hieß es noch NoBudget-Festival, und drei Viertel der gezeigten Filme waren im Super-8-Format. Damals, im Jahr 1985, bestand das Festival lediglich aus einem Abend. Heute laufen an sechs Tagen in vier Kinos Kurzfilme aller Formate, nur mehr ein einziger freilich in Super 8. Heute kommen Filme und Gäste aus aller Welt, zuweilen auch mal mit oder in einer Plastiktüte, und konkurrieren in diversen Wettbewerben um die Gunst von Publikum und Jurys.
Im Internationalen Wettbewerb stand die Sichtungsgruppe vor der herkulischen Aufgabe, aus rund 1800 Einreichungen ganze 55 Filme auszuwählen. Wasp (Internationaler Wettbewerb 5) dürfte den Sichtern keine Entscheidungsnöte bereitet haben. Der Kurzspielfilm über eine Mutter und ihre vier Kinder in sozialer Randlage entwickelt eine durchdringende Präsenz, die in jeder Hinsicht mitnimmt. Andrea Arnolds Film bleibt bei aller Schroffheit zärtlich mit seinen Figuren und entlässt den gebannten Betrachter nicht mit einem Arschtritt, sondern mit einem warmen Händedruck.
Im selben Programm stellt die Wallace & Gromit-Trickschmiede Aardman im Rahmen der „Creature Comforts“-Serie die ewige Gesinnungsfrage „Cats or Dogs?“ Das ist nett und auch für den einen oder anderen Lacher gut. Im Internationalen Wettbewerb 7 sticht Grauzone hervor, ein österreichischer Beitrag aus der Abteilung Verkehrsunfall oder wie man am falschen Ort zur falschen Zeit auch noch das Falsche tut.
Das Falsche taten auch so einige, die ihre Werke für den „Flotten Dreier“ einreichten. Gefordert waren hier maximal drei Minuten lange Filme zum Thema “meins“. Unter diesem besitzanzeigenden Fürwort indes kann jeder spitzfindige Filmemacher jeden seiner Filme verstehen. Gleich doppelt am Possessivpronomen vorbei geht ein Beitrag, der voll in die schwarze Seele der Notstandsgesetze-Republik trifft: Mainz meets Meins. Die Stadt der Mainzelmännchen mit Holger Meins in einen Film gesperrt. Auf der Tonspur Tätä und Büttenreden, zu sehen sind Verhaftung und Beerdigung des Staatsfeindes. Selten gelingt der wechselseitige Kommentar von Ton und Bild so überraschend und erschreckend gut wie in Jan Kristian Wiemanns Meins – Resultat meiner dialektischen Fantasie.
Holger Meins begleitet einen auch ins Made-in-Hamburg-Programm 1. Dort lässt Tobias Peper, Jahrgang 1979, drei arrivierte Veteranen des antikapitalistischen Kampfes, eben das „Kommando Holger Meins“, eine Bank ausrauben. Die Beute ist bestimmt für Subcommandante Marcos, fließt aber größtenteils in die Verwirklichung der bürgerlichen Träume seiner unentwegt altlinken Protagonisten. Pepers Satire ist mit sicherem Gespür für Situationskomik inszeniert, bestens ausgestattet und amüsiert auch jene, die 68er-Bashing nicht eben zu ihrer Lieblingsbeschäftigung zählen.
Das soll schon was heißen in diesem Wettbewerb, in dem einem nicht zu oft Gutes widerfährt. Wie in Light Boy. Hier quält man sich über 17 Minuten mit drei Talking Heads, die das Verschwinden eines Sängers zu erklären suchen. Dass en passant dreimal der Pudel erwähnt wird und zweimal drin gedreht wurde, macht dieses prätentiöse Ding leider nicht so lässig wie den Club, der da dauernd reklamiert wird.
Und sonst? Natürlich das NoBudget-Programm, das gute und günstige Herz des Festivals. Ein fettes Jubiläumsprogramm mit den Krachern der letzten neunzehn Jahre. Ein Super-8-Special und das Rennen der Projektoren. Computergenerierte Kurzfilme laufen ein letztes Mal komprimiert in der Virtuelles-Licht-Retrospektive und die legendäre Trash Nite ersteht wieder. Sogar die Eintrittspreise wurden gesenkt; und jede Nacht ist Remmidemmi im Festivalclub in der Harkortstraße 125.
Eröffnung: heute, 19.30 Uhr, Metropolis; Infos: www.shortfilm.com