: Hintergründe beleuchten
betr.: „Das ist die Sprache der großen Lüge“, taz vom 3. 6. 04
Wenn Herr Michnik sagt, die Vertriebenen sollen sich vor allem daran erinnern, dass sie ihr Leid „Hitler, Hitler und nochmals Hitler“ zu verdanken haben, so ist diese Behauptung zwar aus seiner Sicht verständlich, aber historisch nicht ganz korrekt, zumindest nicht, was die Vertriebenen aus der ehemaligen CSR betrifft.
Pläne, das Gebiet „ethnisch“ zu bereinigen, gab es nämlich bereits lange bevor Hitler das politische Parkett betrat. Deutsche und Tschechen haben ihr Leid dem beiderseitigen Nationalismus zu verdanken, der nach dem Ersten Weltkrieg die Stimmung im Land zunehmend vergiftete. Hitlers Politik und die Gräueltaten seiner Stellvertreter und Anhänger in der CSR waren daher für bestimmte Politiker ein Anlass, das Nationalitätenproblem durch die Ausweisung der Minderheiten, vor allem der Deutschen, endgültig zu lösen.
Wenn es denn zu einem Zentrum gegen Vertreibung kommen sollte, so müsste es für alle Vertriebenen Europas errichtet werden und es sollte möglichst nicht in Berlin, sondern meinetwegen in Breslau oder Warschau stehen. In einem derartigen Zentrum müssten u.a. die Hintergründe beleuchtet und deutlich gemacht werden, wie leidvoll und nachhaltig die Auswirkungen eines fanatischen Nationalismus waren und immer noch sind. BRIGITTE BECK, Passau
In seinem Interview führt Michnik zur Begründung der Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges ein Argumentationsmuster ein, das die taz auch immer wieder gerne benutzt. Demnach war die Vertreibung ein Ereignis, „das der Krieg mit sich gebracht hat“. Das ist eine historisch unsinnige Argumentation, denn „der“ Krieg wird damit zum unpersönlichen, anonymen Akteur gemacht.
Ereignisse wie Kriege und Vertreibungen „geschehen“ nicht „irgendwie“, sondern sie werden von benennbaren Menschen gemacht. In allen von den Nazis besetzten Ländern hatte es spontane Vergeltungsaktionen gegen die Deutschen und ihre Helfer gegeben, aber die großen Vertreibungen wurden von Politikern geplant und durchgeführt: Dazu gehörten die so genannten Großen drei der Siegermächte, weiter aber auch zum Beispiel Beneš, der die Vertreibung der Deutschen seit Beginn seines Exils vorbereitete. Die nach ihm benannten Dekrete hatten eine ethnische Säuberung zum Ziel, die seinem Planer ja bekanntlich geglückt ist.
Ich glaube nicht, dass es für das Zusammenleben in Europa förderlich ist, wenn manche glauben, sich um die Diskussion dunkler Stellen ihrer gemeinsamen Geschichte herumdrücken zu wollen. Lieber sollte man darangehen, sie gemeinsam zu untersuchen. […]
MARTIN TABACZEK, Bielefeld
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