: Da waren es nur noch sechs
Polizisten brachen Khaleb M. beim Bush-Besuch im Mai 2002 den Arm. Polizeipräsident versprach schnelle Prüfung. Doch Ermittlungen gegen Beamte ziehen sich hin und wurden zur Hälfte eingestellt
von PLUTONIA PLARRE
Ein Jahr und zwei Monate können verdammt lang sein, wenn man jeden Tag durch die Schmerzen im Arm an den Überfall erinnert wird und darauf wartet, dass die Täter endlich zur Rechenschaft gezogen werden. „Es ist noch nicht einmal Anklage erhoben worden, geschweige denn dass es einen Gerichtstermin gibt“, klagt Khaled M. „Das Einzige, was passiert ist, ist, dass die Ermittlungen gegen einen Teil der Beschuldigten eingestellt worden sind“.
Aber nicht nur das empört den 35-jährigen Palästinenser. „Niemand vom Staat hat sich bei mir gemeldet, um sein Bedauern über den Vorfall auszusprechen.“ Sein einziger Trost, sagte Khaled M., sei, dass er einen Anwalt habe, der eine Kämpfernatur ist, und dass die Leute auf der Straße hinter ihm stünden. „Junge, bleib dran. Lass dich nicht unterkriegen, haben mir zwei Wochen nach dem Übergriff wildfremde Passanten zugerufen.“
Es geschah am 23. Mai 2002, als US-Präsident Georg W. Bush Berlin besuchte. Weiträumig gesperrte Straßen und große Anti-Bush-Demonstrationen bestimmten das Stadtbild. Die Polizei glänzte in der Innenstadt durch Zurückhaltung und strich dafür viel Lob ein. Fernab vom Scheinwerferlicht der Fernsehkameras indes zeigte Vater Staat seine grimmige Fratze.
In der Hoffnung, dass die Fahrzeugkolonne des US-Präsidenten auf dem Weg zum Flughafen Tegel seiner angesichtig werden würde, hatte sich an der Scharnweberstraße in Reinickendorf ein Mann postiert. An den Füßen trug er Hauslatschen, in den Händen schwenkte er eine Palästinafahne. Einsam und allein stand der Mann am Straßenrand. „Ich wollte Bush zeigen, dass Palästinenser über die ganze Welt verstreut als Flüchtlinge leben“, erkärte später Khaled M., der seit 24 Jahren in Deutschland lebt und als Küchenhilfe arbeitet.
Was dann kam, war wie im Film. Kaum dass er sich mit der Fahne aufgebaut hatte, stoppten Polizeiwagen. „Vier, fünf Beamte stürmten heraus. Ohne Worte schlugen sie auf mich ein und rissen mir die Fahne weg.“ Wenig später habe noch ein Polizeiauto gehalten, dessen Insassen ebenfalls auf ihn eingeprügelt hätten. Mit auf dem Rücken verdrehtem Arm und unter rassistischen Beschimpfungen soll der Palästinenser in eine Seitenstraße gezerrt worden sein. Wenig später fuhr der US-Präsident vorbei – ohne von einer einsamen Palästinafahne belästigt zu werden.
Bruch des Speichen- und Ellenknochens des linken Arms lautete die Diagnose bei Khaled M. Als er aus dem Krankenhaus kam, erstattete er Strafanzeige gegen unbekannt. Eine Dienstnummer hatten ihm die beteiligten Beamten nicht ausgehändigt. Es kam, wie es in vergleichbaren Fällen immer kommt: Der Palästinenser erhielt von der Polizei eine Gegenanzeige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt.
Unbeteiligte Zeugen, die den Vorfall von der anderen Straßenseite beobachtet hatten, bestätigten gegenüber der Presse, dass die Prügel völlig grundlos erfolgten. Von dem Palästinenser sei keine Gefahr ausgegangen. Aber auch für die Version der Polizei gibt es unbeteiligte Zeugen: Khaleb M., so heißt es, habe heftigen Widerstand geleistet und sei einem Beamten von hinten so mit den Füßen ins Kreuz gesprungen, dass der Uniformierte zu Boden stürzte und seinen Helm verlor. Ein Zeuge hatte Fotos gemacht, das entscheidende Tatgeschehen ist auf den Bildern allerdings nicht zu sehen.
Die Öffentlichkeit reagierte aufgeschreckt. Er nehme die Vorwürfe sehr ernst und lege größten Wert darauf, diese „schnell und gründlich zu überprüfen“, versprach Polizeipräsident Dieter Glietsch, der damals erst wenige Tage im Amt war.
Ein Jahr und zwei Monate später ist dennoch nicht einmal eine Anklageerhebung in Sicht. Nach Angaben von Justizsprecher Björn Retzlaff wurde ursprünglich gegen zwölf Polizeibeamte ermittelt. Gegen sechs Beamte ist das Verfahren aber mangels Tatverdacht eingestellt worden. Was mit den übrigen Beschuldigten geschehe, sei noch offen. Es gebe zu dem Vorfall über 50 Zeugen, die zu Teil sehr unterschiedliche Darstellungen abgegeben hätten und deshalb mehrfach vernommen werden müssten.
Unter den sechs Beamten, gegen die das Verfahren eingestellt worden ist, sind auch zwei Verkehrsposten und der Fahrer eines Polizeiwagens. Die Verkehrspolizisten berufen sich darauf, nur eine beengte Sicht auf das Tatgeschehen gehabt zu haben und demzufolge nichts zu Gewalttätigkeiten von Seiten ihrer Kollegen sagen zu können. Demgegenüber hatte ein unbeteiliger Zeuge damals gegenüber den Medien zu Protokoll gegeben: Die zwei Verkehrspolizisten hätten den Vorfall beobachtet, sich aber weggedreht und nicht eingegriffen. Auch der Fahrer des geparkten Polizeiwagens hat sich – bislang erfolgreich – darauf berufen, das gesamte Geschehen nicht gänzlich beobachtet zu haben, da er auf den „Verkehrsfluss“ habe achten müssen.
Khaleb M.s Anwalt Eberhard Schultz hat gegen die Einstellungsverfügung Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft eingelegt, über die aber noch nicht entschieden ist. Auch was den Fortgang des Verfahrens gegen die übrigen sechs Beamten angeht, will er alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Bisweilen, sagt Schultz, könne er sich aber nicht des Eindrucks erwehren, dass das Ganze auf eine Einstellung hinausläuft.
Für Khaleb M. wäre das die Bestätigung seiner negativen Gefühle: „Wenn es um Palästinenser geht, wird mit zweierlei Maß gemessen.“ Als Beispiel nennt er den Fall jenes Landsmanns, der seine Kinder im Mai 2002 bei einer Demonstration mit Sprengstoffattrappen ausstaffiert hatte und dafür längst verurteilt worden ist. Wenn ein Palästinenser aber nicht Täter, sondern Opfer und dazu noch von Polizeigewalt werde, passiere gar nichts, meint Khaled M.. Das sei doch ein Aufruf an die Bürger, es den Beamten gleichzutun, in dem Sinne: „Wenn Polizisten Ausländer so behandeln dürfen, dürfen wir das auch.“