: berliner szenen Clubtheorien
Wenn die Pille knallt
„Letztendlich geht es doch nur ums Ficken“, sagte der Kollege, als wir vor dem HAU rauchten. Das war seine Antwort auf die Theorie von A., dass es in Discos darum gehe, Pillen zu nehmen. Wir kicherten und versuchten die Popdiskursschwere von der Disco-Kapitalismus-Podiumsdiskussion aus dem Kopf zu kriegen. Nur weil die erste Generation der Raver mittlerweile ihr Kulturwissenschaftsstudium abgeschlossen hat, musste man diese ganzen Clubgeschichten doch nun wirklich nicht so angestrengt intellektuell aufladen. Der Kollege regte sich fast etwas auf. Es geht darum, ob die Musik gerade okay ist, wenn die Pille knallt, und ob man in dem Moment irgendjemanden um sich hat, mit dem zu reden man sich auch vorstellen kann, wenn man wieder nüchtern wird. Emotionsleiter hoch und dann bloß keine Höhenangst bekommen. Und dann geht es natürlich noch ums Geldverdienen. Ob als Drogenverkäufer, Partyveranstalter oder DJ.
Das macht man ja alles wegen des Geldes, das darf man aber nicht raushängen lassen, sonst versaut es den Pillenfreaks den Partyspaß. Es sich mal so richtig besorgen darf nämlich nichts mit Kapital zu tun haben. Der Gedanke, dass diese fake Indie-Masche vielleicht auch längst zur Erfolgsstrategie von Partymachern gehört, war vielleicht das Beste an der Poschardt-Performance, die ansonsten daraus bestand, die Lippen mit offenem Mund zu spitzen, den Kopf in den Nacken zu legen und die eigenen Schuhe zu betrachten.
Aber im Großen und Ganzen war es ein tolles Festival. Im Rauschen des Blablas konnte man hervorragend nachdenken über das Kluge, das der ein oder andere sagte. Danach musste man nicht mehr raven gehen. Weil man nicht ficken wollte oder es keine Pillen gab. LAURA EWERT