: Performer’s Heim
Ende Juli eröffnet mit der Schwankhalle Bremens erste kommunale Spielstätte für die Freie Szene. Die inszeniert ihren Umzug als Festival
aus Bremen Benno Schirrmeister
Ein kurzes Innehalten nur, ein prüfender Blick. Aber dann gehen die Menschen vorbei an der Toten. Da liegt sie, einen runden roten Fleck auf der Stirn, den Kopf im Schoß einer anderen jungen Frau. Die macht traurige Augen, schaut auf die Leere der gekalkten Wand. Direkt an der Einfahrt von Parkdeck sechs.
Keine Frage, das ist Theater, Tanztheater. „Entre chien et loup“ (Zwischen Hund und Wolf), heißt der surreale Bilderbogen der Bremer Steptext Dance Company. Zu sehen war er am Wochenende zur Eröffnung des FreiRäumen Festivals im Parkhaus am Brill, am Rande der Bremer Altstadt. Über drei Ebenen des 70er-Jahre-Baus bewegen sich dabei die Tänzer, das Publikum folgt ihnen. Durch Lochgitter strahlt die Abendsonne, die Stadt ist entrückte Kulisse.
Organisiert hat das Festival das hiesige Junge Theater gemeinsam mit den Tänzern. Grob gesagt besteht das Konzept darin, ungewöhnliche Orte zu bespielen. Noch bis September werden Privatwohnungen, Telefonzellen, Läden und ein Hotel zu Bühnen. Gar in einem fahrenden Kleinwagen inszeniert die Leiterin des Jungen Theaters, Anja Wedig, Richard Dressers Zweipersonenstück „Wovor hast du eigentlich Angst?“: zehn Aufführungen für je zwei Zuschauer. Die Hälfte der Billets ist schon verkauft.
Die Ortswahl hat aber nicht nur den spektakelhaften Sinn, auf sich aufmerksam zu machen. Es inszeniert auch den Umzug der freien Gruppen von ihren teils provisorischen, teils inexistenten Quartieren in ein neues Domizil. Die Reihe der Festival-Spielstätten ergibt, auf einen Stadtplan eingetragen und per Bleistift verbunden, annähernd eine Diagonale vom Nordwesten der City über die Weser bis in den Südosten der Neustadt. Wie die Zuschauer den Tänzern im Parkhaus folgen, vollzieht das ganzeFestivalpublikum einen Weg, dessen Ziel der Buntentorsteinweg 112 ist – die Schwankhalle.
Seinen Namen trägt das nüchterne Gebäude, weil die Remmer Brauerei dort einst ihre Fässer schwenkte – das heißt reinigte. Dann stand die Halle leer. Pläne, sie zur Heimstatt für die Freie Szene auszubauen, gibt es seit 1992. Jetzt erst sind sie umgesetzt: Als „artists in residence“ nutzen ab September der soziokulturelle Verein Quartier, die MusikerInnen Initiative Bremen (MIB), in der sich die Jazzszene der Stadt organisiert hat, sowie Steptext und Junges Theater die Räumlichkeiten – mietfrei. Es gibt zwei halbe Stellen für Theatertechniker. Und sogar Technik.
Im späten Eröffnungstermin erblicken allenfalls hartgesottene Bremen-Begeisterte eine antizyklische Investitionsstrategie: Die Gründerzeit für vergleichbare Spielstätten liegt gut 15 Jahre zurück. Das sei auch ein Vorteil, befindet Helge Letonja. In Einrichtungen wie der Hamburger Kampnagel-Fabrik seien, so der Steptext-Leiter, „Erfahrungen gemacht worden, von denen wir uns manche vielleicht ersparen können“. Es gebe aber auch einen wesentlichen Unterschied: „Die Schwankhalle hat keinen Intendanten.“ Disposition der Bühnen, Management und Öffentlichkeitsarbeit „machen die Künstler selbst“. Man könne von der neuen Operationsbasis aus Gastspiele einladen, internationale, aber auch innerstädtische Kooperationen seien leichter einzufädeln. Zudem übernimmt der Trägerverein der Schwankhalle die von der stadtstaatlichen Kulturverwaltung bislang nicht befriedigend gemeisterte Aufgabe, Fördermodelle für die performing arts zu entwickeln.
Heile Welt also? Es gibt auch Skepsis. „Das ist so etwas wie erwachsen werden“, sagt Regisseurin Anja Wedig über den Umzug. Da blieben doch „noch so einige Fragen“. Wie der Raum zum eigenen Verständnis von Schauspiel passe, etwa. Das Provisorische der alten Spielstätte am Güterbahnhof prägte die Ästhetik des Jungen Theaters mit. Sie wisse auch nicht, „ob wir das schaffen, die Fantasien, die er auslöst, abzuknabbern.“ Befürchtungen, aber keine grundsätzlichen Hemmnisse. Der Umzug findet statt, sichtbar für alle. Am 4. September hat die Abschluss-Produktion des Sommerfestivals in der Halle Premiere. Ein Tanztheaterstück, an dem alle drei freien Companies Bremen mitwirken. Es heißt „Einräumen!“
Karten: ☎ (04 21) 70 01 41, Festivalprogramm unter: www.jungestheater.de