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Archiv-Artikel

Auch Unglück will geübt sein

BVG und Feuerwehr weihen den weltweit ersten Übungstunnel für U-Bahn-Unglücke ein. In einer ersten Simulation geht die U 9 in Flammen auf, Polizeischüler spielen Fahrgäste, und Feuerwehrleute kämpfen sich durch Theaternebel zur Lichtorgel vor

von NICOLAI KWASNIEWSKI

Es ist der Albtraum eines jeden Pendlers: Die U 9 bleibt kurz vorm U-Bahnhof Jungfernheide stehen. Der Tunnel ist eng, Notlichter beleuchten die Betonwände. Der Zugführer meldet seiner Leitstelle ein Problem und steigt aus, um nach der Ursache zu suchen. Rauch dringt unter dem ersten Waggon hervor, es flackert, irgendwo brennt es. Die ersten Fahrgäste steigen einfach aus und retten sich entlang der Schilder zum Notausstieg aus dem U-Bahn-Schacht. „Sehr geehrte Fahrgäste, bitte bleiben Sie ruhig, wir haben eine technische Störung. Bitte folgen Sie mir, ich führe Sie über den Notausstieg ins Freie.“ Die Stimme des Fahrers wirkt weniger aufgeregt als unsicher, ob er seinen Text auch fehlerfrei aufsagt.

Schließlich ist der Brand nur vorgetäuscht – mit Theaternebel und Lichtorgel. Feuerwehr und BVG probten gestern erstmals den Notfall in ihrer neu gebauten Übungsanlage, die realistische Simulationen von U-Bahn-Unglücken zehn Meter unter der Spree erlaubt. Die Anlage wurde in einem stillgelegten Tunnelstück errichtet, das in den 70er-Jahren gebaut wurde und ursprünglich zum Flughafen Tegel führen sollte. In die Sackgasse am U-Bahnhof Jungfernheide wurden Gleise gelegt, der Tunnel nach 350 Metern zugemauert. Am anderen Ende wurde ein Rolltor eingebaut – der Übungstunnel sieht aus wie eine U-Bahn-Waschanlage.

Bei der Premiere sitzen ungefähr 100 Polizeischüler in der U-Bahn, die sich möglichst realistisch verhalten sollen: Ein paar haben den Zug schon selbstständig verlassen, bevor sie dazu aufgefordert wurden, die meisten folgen brav dem Zugführer. Der Rest wartet ängstlich im Zug auf die Feuerwehr – und muss zur Strafe später Schilder mit dem Hinweis „Rauchgasvergiftung“ und neongelbe Atemschutzmasken tragen.

Während der Zugführer den U-Bahn-Schacht zusammen mit den meisten Fahrgästen verlässt, fordert die BVG-Leitstelle die Feuerwehr an und benachrichtigt einen Notfallmanager. Mit schweren Atemschutzgeräten steigen die Feuerwehrmänner in den Tunnel, verlegen dabei Schläuche. Mit einer so genannten Rettungslore, die an jedem Berliner U-Bahnhof bereitsteht, werden weitere Schläuche, Tragen und Atemschutzmasken zum brennenden Zug transportiert. Verletzte können mit den Loren in Sicherheit gebracht werden. Wirklichkeitsnah scheint auch die Dauer zu sein, gut 25 Minuten brauchen die Feuerwehrmänner um bis zum brennenden Wagen vorzudringen.

Gut hundert Meter laufen die Feuerwehrleute vom Bahnhof zur Übungsanlage, erst müssen sie sich den Qualm noch vorstellen, direkt am Zug aber ist die Simulation perfekt. Zwischen Waggons und Tunnelwand bleiben gut 80 Zentimeter, um sich mit Atemschutzgeräten und Tragen durchzuzwängen. Der Rauch ist dichter, es ist unübersichtlich. In der Übung laufen die Rauchgasvergifteten brav hinter ihren Rettern her, der Verletzte wird herausgetragen – Panik lässt sich nicht simulieren. Um weitere Verletzte finden zu können, wird eine Infrarot-Wärmebildkamera eingesetzt.

Nach einer Stunde ist die Übung vorbei. Beobachter der Feuerwehr werden sie auswerten und Verbesserungen vorschlagen. Die Simulationen sollen wöchentlich wiederholt werden, bis alle 750 Berliner Zugführer und alle Feuerwehrwachen einmal den Ernstfall im Tunnel durchgespielt haben.

375.000 Euro hat die BVG der Übungstunnel gekostet, es ist der weltweit einzige. 350 Meter lang, knapp 10 Meter breit und 30 Meter hoch ist die Anlage. Die Gleisbauarbeiten für 220 Meter Stromschienen wurden – um Geld zu sparen – von Auszubildenden durchgeführt. Nachdem er seine Feuertaufe bestanden hat, interessieren sich auch Verkehrsbetriebe aus anderen Städten für den Tunnel. Wenn die Berliner geschult sind, werden wahrscheinlich Zugführer und Feuerwehren aus ganz Deutschland im Tunnel unter der Spree den Ernstfall üben.