„Ich kann auch austeilen“

Müller? Wer? Bisher kennen viele Berliner den künftigen SPD-Landeschef Michael Müller gar nicht. Er selbst sieht seine Zurückhaltung positiv. Und will in der Stadt stärker Bundespolitik thematisieren

INTERVIEW THORSTEN DENKLER

taz: Herr Müller, Sie waren im April nach Umfragen beliebter als Klaus Wowereit. Wie haben Sie das gemacht?

Michael Müller: (lacht) Tja, wie habe ich das gemacht? Ich mach ja nun schon eine ganze Weile Politik. Davon drei Jahre als Fraktionsvorsitzender. Ich glaube, meine Arbeit wird honoriert. Aber ich sehe natürlich, dass die Kürzungen und Sparmaßnahmen eher mit den Senatoren und Klaus Wowereit in Verbindung gebracht werden als mit dem Fraktionsvorsitzenden.

Am 20. Juni werden Sie aller Voraussicht nach neuer Landeschef der Berliner SPD. Dabei können nur die wenigsten Berliner etwas mit Ihrem Namen anfangen.

Doch, sie kennen den Bundestags-Müller.

Ich wollte gar nicht auf Ihren Namensvetter hinaus. Aber bitte. Ist Ihre Unbekanntheit ein Defizit, das Sie selbst zu verantworten haben?

Meine derzeitige Bekanntheit liegt bei etwa 30 Prozent. Mit dem Wert kann ich zufrieden sein. Er wird sich sicher ändern, wenn ich Parteivorsitzender bin.

Wer Sie als Mensch charakterisieren soll, benutzt entweder das Wort „dröge“ oder alternativ „blass“. Wie sehen Sie sich?

Ich würde eher sagen, ich pflege einen sachlichen, mitunter zurückhaltenden Politikstil. Aber das muss für einen Politiker ja nicht schädlich sein.

Erfahrene Wahlkämpfer sagen, ohne Pauken und Trompeten sind Wahlen nicht zu gewinnen. Sind Sie der falsche Mann, um die Partei in die schwierige Wahl 2006 zu führen?

Keine Sorge. Wenn es darauf ankommt, kann ich auch austeilen. Aber meine Erfahrung ist, dass viele das sehr schätzen, wenn ein Politiker nicht immer gleich draufhaut. Bei denen, die mich kennen, scheine ich ja anzukommen, wenn ich Ihre Eingangsfrage richtig verstanden habe.

Können Sie Klaus Wowereit Konkurrenz machen?

Klaus Wowereit kennen in Berlin 98 Prozent der Wähler. Er ist unser Aushängeschild. Er ist bekannt und beliebt, und er wird die Politik der SPD an erster Stelle repräsentieren.

Sie werden als Parteichef einen schweren Wahlkampf zu organisieren haben. Wie geht das, wenn Ihr einziges Thema bisher mit einem Wort auskommt: sparen?

Es ist natürlich nicht unser einziges Thema. Wir haben die milliardenschwere Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau beendet, ein Schulreformgesetz beschlossen, den Wissenschaftsstandort Berlin modernisiert und die Opernstiftung auf den Weg gebracht. Das alles müssen wir in den Mittelpunkt rücken.

Dürfen die Senatoren in Zukunft das Wort „sparen“ noch in den Mund nehmen?

Ja, das sollen sie. Es wird keine Abkehr von der Haushaltskonsolidierung geben. Bei 60 Milliarden Euro Schulden muss sie Basis unserer Politik bleiben. Es darf nur nicht der einzige Punkt sein, der bei den Bürgern ankommt.

Was sollen das für Themen sein, die den Bürgern vermitteln: „Seht her, ihr braucht die SPD“?

Ich habe mir zum Beispiel vorgenommen, den Beschluss zur Schulreform mit Nachdruck umzusetzen. Unsere Initiativen zur Ganz- und Halbtagsschule und unser Schulstättensanierungsprogramm – all das wird von den Bürgern kaum positiv wahrgenommen. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Darüber hinaus werden wir die Wirtschaftspolitik stärker zu unserem Thema machen. Uns fehlen Jobs in Berlin. Wir müssen mehr Unternehmen in die Stadt bekommen. Wir müssen Klinken putzen, damit wir die großen Unternehmen mit einem Standbein nach Berlin bekommen.

PDS-Wirtschaftssenator Harald Wolf macht das nicht?

Er macht es auch, aber es reicht mir nicht.

Als Konkurrentin steht Ihnen eine CDU gegenüber, die nicht mal Minimalopposition zu machen braucht, um besser dazustehen als die SPD.

Die CDU vertritt überhaupt keine Inhalte …

und führt dennoch die Umfragewerte an …

… ich kann mir nicht vorstellen, dass ihre Konzeptionslosigkeit letztlich honoriert wird. Es gibt sicher Gegenwind bei einigen unserer Entscheidungen. Aber es wird durchweg anerkannt, dass wir uns der wichtigen, großen und schwierigen Themen in der Stadt annehmen und umsteuern. Für die Menschen ist wichtig: Schaffen wir Arbeitsplätze und machen wir eine gute Bildungspolitik? Da liegen wir genau richtig.

Haben Sie Angst vor dem Volksbegehren gegen den Senat, das gerade vorbereitet wird?

Nein. Ich bin der festen Überzeugung, dass es erfolglos sein wird.

Herr Müller, vollenden Sie bitte folgende Sätze: Dass wir das Blindengeld gestrichen haben, ist eine Riesen…

(leise) da haben Sie mich jetzt. (lauter) ist eine Riesen…

… ein Tipp: Sie könnten den Satz mit „Chance“ beenden.

Nein. Es ist weder eine Riesenchance noch ein Riesenfehler, sondern eine schlichte Notwendigkeit. Wir zahlen jetzt das, was in den anderen Bundesländern längst üblich ist. Das ist nichts, wofür man sich feiern lassen kann. Aber ein Schritt, den wir gehen mussten.

Dass wir die Kitagebühren angehoben haben, ist eine Riesen…

… ist eine Riesenmöglichkeit, das hervorragende Platzangebot in der Stadt zu erhalten.

Dass PDS-Kultursenator Flierl die Symphoniker sterben lässt, ist eine Riesen…

… ist ein Riesenschritt für Herrn Flierl, damit er seine Zusage an den Senat einhalten kann, hier deutlich zu sparen.

Seit Peter Strieder alle Ämter aufgegeben hat, konzentriert sich die Kritik auf den Kultursenator. Sein Politikstil wird nicht mal bei den eigenen Leuten sonderlich geschätzt. Haben Sie drei lobende Worte für Thomas Flierl übrig?

Er hat hervorragende Akzente etwa mit der Opernstiftung gesetzt. Er ist präsent bei den wissenschafts- und kulturpolitischen Themen in der Stadt. Aber es fehlt ihm daran, unsere gemeinsame Politik zielgerichtet umzusetzen.

Könnte er zu einer Sollbruchstelle für die Koalition werden?

Mit Sicherheit nicht. Dafür hat er zu viel auf der Habenseite.

In den Fällen Strieder und Flierl macht sich eine Systemeigenschaft der Berliner Politik bemerkbar, die im Bundesvergleich ungewöhnlich ist. Hier werden die Senatoren vom Abgeordnetenhaus gewählt. Gefeuert werden kann ein Senator nur, wenn er freiwillig zurücktritt oder abgewählt wird. Denken Sie daran, dem Regierenden Bürgermeister die volle Hoheit über Personalentscheidungen zu geben?

Ein Regierender braucht eine Richtlinienkompetenz, wie sie auch in Flächenstaaten üblich ist. Das gilt auch für Personalentscheidungen. Er soll Senatoren berufen und abberufen können.

Dafür muss die Landesverfassung geändert werden.

Es gibt Signale aus der CDU und der FDP, dass sie dies mittragen.

Was ist Ihre Vision für Berlin?

Berlin muss eine kulturelle, vor allem aber eine wirtschaftliche Metropole mit Weltrang werden. Die Stadt muss auf eigenen wirtschaftlichen Füßen stehen können. Da gibt es noch einiges zu tun.

Und das Soziale spielt keine Rolle?

Doch, aber ohne gute Wirtschaftspolitik gibt es keine gute Sozialpolitik. Die Menschen brauchen Arbeitsplätze.

Haben Sie in letzter Zeit mal mit Peter Strieder telefoniert?

Oft.

Und, was macht er gerade?

Urlaub, soweit ich weiß.

Einen Rat abgeholt für den Parteivorsitz?

Es ist nicht so, dass ich mir wöchentlich einen Rat von Peter Strieder holen müsste.

War sein Rücktritt in der Nachbetrachtung notwendig?

Peter Strieder konnte nur noch eingeschränkt agieren. Dann muss man – ohne jedes Schuldeingeständnis – die Konsequenzen ziehen.

Wie nehmen Sie selbst Ihren Karrieresprung wahr? Ist Ihnen das zugeflogen?

Mit ist nie etwas zugeflogen. Ich habe mir alles erarbeitet. Ich drängle mich auch nicht vor. Wenn mir aber interessante Aufgaben angeboten werden, dann ziere ich mich nicht lange. Und wenn ich Ja sage, dann mache ich es richtig, dann knie ich mich rein, und dann macht es mir auch Spaß.

Manche sagen, wenn der Müller einmal eine Entscheidung gefällt hat, ist er davon nicht mehr abzubringen. Das kann dazu führen, dass man beratungsresistent wird.

Man kann auch umgekehrt sagen, man würde ständig seine Fahne nach dem Wind hängen, wenn man seine Meinung dauernd ändert. Bei den wichtigen strategischen Fragen muss man sich ständig überprüfen und beraten lassen. Ich sage das auch speziell für mich. Ich brauche viel Beratung und nehme sie auch gerne an. Aber im politischen Tagesgeschäft muss man irgendwann den Sack zumachen.

Parteivorsitzende haben die Angewohnheit, irgendwann Regierungschefs werden zu wollen. Irgendwelche Ambitionen?

Nein. Überhaupt nicht. Ich fühle mich gut mit dem, was ich jetzt tue und demnächst tun werde.

Sie wollen also hier und jetzt feststellen, dass der Parteivorsitz das Ende Ihrer Karriereleiter bedeutet?

Ich stelle fest, dass ich nach dem 20. Juni zwei wunderbare Aufgaben habe, die mir voll und ganz reichen.

Einige SPD-Landeschefs definieren ihre Rolle auch bundespolitisch. Und Sie?

Der Weg ist richtig. Wir müssen stärker über bundespolitische Themen reden. Die Debatten über Ostförderung, Hartz-Gesetze und Steuersysteme spielen in der Stadt kaum eine Rolle. Obwohl wir dramatische Auswirkungen zu erwarten haben.