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Archiv-Artikel

Um 20 Uhr ist erst mal Schluss

Nach dem Verfassungsgerichtsurteil zum Ladenschluss wollen Senat und Einzelhandel Lockerungen auf Landesebene. Grüne und Gewerkschaften begrüßen das Urteil. „Soziale Zeit“ ist wichtig, so Ver.di

VON RICHARD ROTHER

Die Bestätigung des Ladenschlusses durch das Bundesverfassungsgericht hat die Diskussion um die Öffnungszeiten erneut angefacht: Senat und Einzelhandel setzen nun offenbar auf eine Lockerung der Regelungen durch die Länder. Die SPD-Fraktion kündigte noch für dieses Jahr Ausnahmeregelungen an. Für touristische Zentren wie Alexanderplatz, Potsdamer Platz oder Kurfürstendamm sollte es Sonderregelungen geben, forderte der SPD-Fraktionschef Michael Müller.

Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) forderte die Bundesregierung auf, den Ländern mehr Kompetenzen zu übertragen. Der Ball liege beim Bund, so sein Sprecher. Einkaufen rund um die Uhr sollte wenigstens in Teilen der Stadt möglich sein. „Berlin hat ein besonders Interesse an Erlebnis-Shopping als touristischem Faktor“, so Wirtschaftssenator Wolf. Der Senat hatte sich in der Vergangenheit immer wieder für längere Öffnungszeiten eingesetzt. An mehreren Sonntagen im Jahr können die Geschäfte bereits jetzt öffnen. Zudem gibt es Supermärkte in Bahnhöfen und eine Buchhandlung, die bis 22 Uhr verkaufen dürfen.

Der Hauptgeschäftsführer des Berliner Einzelhandelsverbands, Nils Busch-Petersen, kündigte an: „Wir geben nicht auf und werden für Berlin weitere kreative Lösungen finden.“ Er kritisierte die Entscheidung der Karlsruher Richter scharf. „Aus dem Urteil spricht der Geist des 19. Jahrhunderts.“ Das Gericht habe weder die EU noch die Globalisierung berücksichtigt und sei in seiner Begründung noch einen Schritt hinter das überholte Gesetz zurückgegangen.

Die Gewerkschaften begrüßten hingegen das Urteil. „Ich bin begeistert“, so Ver.di-Handelsexperte Achim Neumann. Die Richter hätten betont, dass auch Beschäftigte im Einzelhandel einen Anspruch auf gemeinsame soziale Zeit mit Freunden und Familien hätten. Die Ankündigungen des Einzelhandelsverbandes bezeichnete Neumann als „Kampfansage an die Gewerkschaften“. Diese werde aber auf Widerstand stoßen. Dem SPD-Fraktionschef Müller drohte Neumann mit kommenden Wahlen. „Wir werden keine Leute wählen, die uns die Zeit stehlen.“

Auch die Grünen-Fraktion begrüßte das Karlsruher Urteil. Dies sei eine kluge Entscheidung gewesen, so die wirtschaftspolitische Sprecherin Lisa Paus. „Die einfache und klare Regelung in Berlin ist bestätigt worden.“ Auf Länderebene könnten nun in Berlin Regelungen für kleine und mittelständische Händler gefunden werden, die Wettbewerbsnachteile gegenüber den großen Zentren ausglichen.

Nach wie vor nicht geregelt sei die Frage der Kinderbetreuung während der verlängerten Öffnungszeiten, kritisierte Paus. 80 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel seien Frauen, viele dieser Frauen hätten Kinder. Dies müsse bei Tarifgesprächen eine Rolle spielen. Auch der Senat sei in der Pflicht, bei der Kinderbetreuung seinen Beitrag zu leisten. Außerdem müsse das Angebot im öffentlichen Nahverkehr verbessert werden, das sich an die verlängerten Öffnungszeiten anpassen müsse. Dies sei gut für die Berliner Bevölkerung und für den Tourismus in der Stadt. Zwischen 20 und 21 Uhr müssten die Taktzeiten der öffentlichen Verkehrsmittel erhöht werden.

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