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Archiv-Artikel

Wundersame Argumente

Der Streit um die Flick-Collection geht weiter. Michael Fürst vom Zentralrat der Juden schlägt ein Moratorium vor

Vielleicht sollte man angesichts der Diskussionen über die Flick-Collection in Berlin „doch darüber nachdenken, ob nicht ein Moratorium angebracht ist, um im Rahmen einer sachlichen Diskussion Säumnisse einerseits und neue Möglichkeiten anderer Ausstellungsformen andererseits anzudenken“, schreibt Michael Fürst, der Vorsitzende des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, in einem offenen Brief vom Montag an den Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann.

Lehmann hat Fürst zuletzt aufgefordert, sich bei Eugen Blume, dem Kurator der geplanten Ausstellung der Flick-Sammlung, zu entschuldigen. Fürst hat aufgrund eines Gesprächs des Kurators mit dem Berliner Tagesspiegel die Abberufung Blumes verlangt, weil dieser indirekt mit dem Satz zitiert wurde, „Kunst schaffe stets eigene geistige Räume und setze sich über episodenhafte Ereignisse der Geschichte hinweg“. Inzwischen hat der Tagesspiegel das Interview veröffentlicht, und Michael Fürst sieht umso weniger Grund, sich zu entschuldigen.

Tatsächlich sind die Aussagen von Eugen Blume zum Komplex Flick widersprüchlich und wenig durchdacht. Zum einen sagt er, dass die Sammlung „jetzt nicht durch irgendetwas außerhalb der Kunst berührt werden“ soll; er wolle die Werke der Sammlung durch das Engagement der Stiftung „freisetzen“. Zugleich soll ausgerechnet diese von aller Geschichte, Politik, gesellschaftlicher wie privater Verantwortung freigesetzte Kunst einen geistigen Raum freigeben, „der letztendlich auch dazu beiträgt, dass solche Dinge wie in der Familie Flick, dieser gnadenlose Kapitalismus des Großvaters, der sich skrupellos mit den Nationalsozialisten verbunden hat, infrage gestellt werden“.

Freilich werden gar nicht die Kriegsverbrechen von Friedrich Christian Flicks Großvater infrage gestellt. Sie sind in der Tat Geschichte. Fragwürdig ist vielmehr, in welcher Weise der Enkel mit der Verantwortung dieses schweren Erbes umgeht; und nicht nur der Enkel selbst, sondern vor allem die hier involvierten staatlichen Institutionen. Hier setzt denn auch Michael Fürst an und erinnert Klaus-Dieter Lehmann daran, dass er sich Anfang des Jahres 2003 auf einer Pressekonferenz zur Flick-Collection zu der Äußerung verstiegen habe, die Flick-Ausstellung sei ja selbst ein Mahnmal. „Erstmalig in der Nachkriegsgeschichte“, so Fürst, „wird mit solchem Gedankengut der Kunsterwerb als ein Mittel zur Reinwaschung von Belastungen aus der NS-Zeit hoffähig gemacht.“ Und ätzend setzt er die Frage hinterher: „Warum verzichtet man in Berlin nicht gleich auf Mahnmale und schickt die Menschen stattdessen in Kunstmuseen?“

Die Argumente der Stiftung und ihrer Mitarbeiter sind, milde ausgedrückt, wundersam. Zunächst muss Kunst von allem Kontext gereinigt und als reine Kunst freigesetzt werden, dann freilich geschieht die kunstreligiöse Verwandlung von Wasser in Wein: Plötzlich ist die Kunst eminent politisch, ein Mahnmal und eine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Ein Moratorium, ein neues Nachdenken tun wirklich Not. Das gebietet die Achtung vor den NS-Opfern. Das steht aber auch an, will man noch seriös über Kunst sprechen. Gar über die Werke in der Flick-Sammlung. BRIGITTE WERNEBURG