: Der totalitäre Faktor
Der Krieg als Mutter aller Utopien: Die polnische Künstlerin Aleksandra Polisiewicz hat sich die Pläne des NS-Regimes für die „Deutsche Stadt Warschau“ angeschaut. Auch polnische Architekten setzten auf die Tabula rasa als Voraussetzung für Erneuerung. Polisiewicz’ „Wartopia“ ist in Berlin ausgestellt
VON UWE RADA
Ist hierzulande von der Zerstörung Warschaus die Rede, denkt man vor allem an den Warschauer Aufstand und an ein Zitat von Heinrich Himmler. Kaum hatte die Erhebung von 20.000 Bewaffneten der Armia Krajowa (Heimatarmee) am 1. August 1944 begonnen, befahl der Reichsführer SS: „Warschau ist dem Erdboden gleichzumachen, um Europa zu zeigen, was es bedeutet, einen Aufstand gegen die Deutschen zu unternehmen.“
Zwei Monate später hatten die Deutschen ihre Drohung wahr gemacht. Fast 200.000 Warschauer wurden ermordet, 300.000 Bewohner abtransportiert. In der leeren Stadt begannen die Brand- und Sprengkommandos mit der Zerstörung. Als die Rote Armee, die schon vor Beginn des Aufstands am anderen Weichselufer stand, im Januar 1945 in die Altstadt rückte, waren 90 Prozent der Gebäude zerstört. Warschau hatte aufgehört zu existieren.
Der Warschauer Aufstand gehört heute zur polnischen Erinnerungskultur, zuletzt unterstrichen mit der Öffnung des Museums des Warschauer Aufstands im Stadtteil Wola 2004. Weit weniger bekannt ist die Tatsache, dass die Pläne zur Zerstörung Warschaus viel älter waren. Mit einer Ausstellung in Berlin ruft die polnische Künstlerin Aleksandra Polisiewicz deshalb die Zeit vor dem Warschauer Aufstand in Erinnerung und mit ihr die Pläne des NS-Regimes, aus der polnischen Hauptstadt die „neue Deutsche Stadt Warschau“ zu machen.
Polisiewicz’ Konzept für ihr „Wartopia“ ist so einfach wie irritierend. Auf Tafeln und anhand eines Modells hat die Künstlerin die deutschen Planungen aus der Feder von Hubert Groß dreidimensional visualisiert. Da steigt die Idealstadt der Nazis wie Phönix aus der Asche – mit einem Turmhochhaus als architektonischer Determinante des Gauforums, einer riesigen Volkshalle und einem ellipsenförmig um den Sächsischen Garten angelegten Siedlungsgebiet. Groß ist das „neue Deutsche“ Warschau nicht. Nur 40.000 Einwohner sollten nach dem Willen der Planer in der zur Bezirksstadt degradierten Metropole an der Weichsel leben.
Doch die Konfrontation mit den Planungen von Groß ist für Polisiewicz nur ein erster Schritt. Im zweiten Schritt wird der Plan (erhalten sind lediglich 15 Tafeln und Fotografien) vollends zur Imagination. So werden Groß’ Pläne unter anderem ergänzt um deutsche Siedlungsplanungen für Angehörige der SS in Gleiwitz, wo Polisiewicz 1974 geboren wurde. „Aleksandra Polisiewicz sichtete Archive und entwickelte eine eigene Vision der ‚neuen Deutschen Stadt Warschau‘“, sagt dazu die Kuratorin der Ausstellung, Bozena Czubak, vom polnischen Kulturinstitut Berlin.
Eine Polin, die die deutschen Pläne von Warschau weiterentwickelt – was für das deutsche Publikum irritierend sein mag, hat einen durchaus realen Hintergrund. Lange bevor die deutschen Sprengkommandos Warschau tatsächlich niederlegten, hatten polnische Architekten im Untergrund ebenfalls an einer Planung Warschaus ex nihilo gearbeitet. Mehr noch: Um ihre Vorstellungen von einem neuen, diesmal polnischen und sozialistischen Warschau umsetzen zu können, war die Zerstörung der Stadt für die Avantgarde-Architekten geradezu Voraussetzung. „Offenbar bieten die Zerstörungen des Weltkrieges bis hin zur Tabula rasa die Möglichkeit, Utopien zu verfolgen, die buchstäblich auf den Urgrund zurückgreifen“, schrieben die polnische Architektin Barbara Klain und ihr deutscher Kollege Niels Gutschow bereits 1994 in ihrem Buch „Vernichtung und Utopie“.
Wer heute durch Warschau geht, weiß nicht nur um die Bedeutung des Warschauer Aufstands für die polnische Erinnerungskultur. Er sieht die Ergebnisse des polnischen „Wartopia“. Außerhalb der Altstadt und des rekonstruierten Königswegs ist das neue, sozialistische Warschau entstanden, mit dem stalinistischen Kulturpalast als Ikone. In dieser „neuen sozialistischen Stadt Warschau“ zeigt sich auch die Handschrift der Untergrundarchitekten, die schon kurz vor Kriegsende im BOS, im Büro zum Wiederaufbau der Hauptstadt, gearbeitet hatten.
Genau an diesem Punkt, an dem es tatsächlich spannend zu werden beginnt, verlässt die Künstlerin allerdings der Mut. Zwar sollen die polnischen Planungen in einem zweiten Teil von „Wartopia“ ebenfalls visualisiert werden. Doch für Polisiewicz wie auch für Kuratorin Czubak scheint der Wiederaufbau erst mit dem Eintreffen des aus Moskau nach Warschau zurückkehrenden Architekten Edmund Goldzamt zu beginnen, der 1949 der „Chefideologe“ des Wiederaufbaus wurde. Nicht die polnischen Architekten der BOS tragen demnach die Verantwortung für den stalinistischen Städtebau in Warschau, sondern ein Import aus Moskau. Man hätte es sich auch weniger leicht machen können. Darüber hinaus wäre eine Parallelmontage beider Kriegsutopien von Warschau – der deutschen wie der polnischen – auch ein Beitrag zur vergleichenden Planungsgeschichte totalitärer und moderner Architekturvisionen gewesen.
Sei’s drum. „Wartopia“ ist auch so ein irritierendes Statement über die Allmachtsfantasien von Architekten und Planern. Dass die „neue Deutsche Stadt Warschau“ nicht weiterverfolgt wurde, ist übrigens nicht nur dem Warschauer Aufstand und dem viel zu späten Eingreifen der Roten Armee geschuldet. Schon mit dem Beginn des Russlandfeldzugs 1941 musste Groß seine Pläne begraben. Nicht mehr der Rückbau Warschaus als Bezirksstadt stand nun im Zentrum von „Wartopia“, sondern Himmlers Generalplan Ost.
Das Polnische Institut Berlin zeigt „Wartopia“ im Künstlerhaus Bethanien in Berlin Kreuzberg, bis 1. Februar