: Bonjour Distresse
Die Russenconnection bringt Blumen, im Kino ist das Leben trotzdem unerträglich: Notizen vom Filmfestival im tschechischen Karlovy Vary
Nicht Hallo, aber Kavau sagt man in Karlovy Vary zum Gruß. Der Code hat sich in der tschechischen Filmfestivalstadt durchgesetzt, zumindest, wenn man sich als zugehörig betrachtet wissen will. Dann kann man sich der Flotte neuester Mercedesse bedienen, mit Stuttgarter S-Kennzeichen dran, und sich die 150 Kilometer gratis von Prag nach KV kutschieren lassen oder dort zur Mediaparty auf den exklusiven Golfplatz oder zum Grandhotel Pupp oder gar zum Imperial, das die Stadt beherrscht – die Nacht durch hell beleuchtet, eine überirdische Erscheinung.
Dnes, die offizielle Festivalzeitung, erklärt, wieso die Russen Hauptinvestoren des imperialen Hotels sind und auch sonst dem traditionell russophilen Karlsbad zu einer Blüte verhelfen, die sich nicht nur in überreichlichen Blumenrabatten ausdrückt, die Fußwege, Fenster und Dachkanten schmücken. Alles strahlend renoviert, die neue orthodoxe Kirche mit Blattgold bekleidet, dass es im Auge schmerzt! „Die Russenconnection“, ist der Dnes-Artikel überschrieben.
Drei Gründe. Der erste: Zar Peter der Große. Er nutzte die heißen Quellen der Bäderstadt zur Stärkung seiner Sexualkraft, erklärt uns Dnes. Zweitens: Arbeiterhelden der SU. Nach Stärkung ihrer Arbeitskraft ließen sich Normen erhöhen. Drittens: Russlands kriminelle Gegenwart. Wer dort sein Geld gemacht hat, lässt es sich ebendort nicht wieder abnehmen, etwa durch Erpressung oder das übliche Kidnapping (schreibt die Festivalzeitung), sondern investiert in Karlsbad in Haus und Boden und eben ins Imperial. Gleichzeitig lassen sich Kräfte im Thermalbad regenerieren. Beim Schwimmen guckt man auf den Goldzwiebelturm hinunter, den „wahrscheinlich schönsten westlich des Dnjepr“ (Dnes). Fünfzigtausend „unserer Freunde aus dem Osten“ fliegen jährlich nach KV, die neue Landepiste ist für die Russen-Privat-Jets gebaut (verrät mir die Wirtin). Die Stadt Moskau hat ein eigenes Stadtkonsulat errichtet (Dnes), und nur in KV gebe es den besten Borschtsch weit und breit.
Wer uns das erklärt, vermeidet das Wort Geldwäsche. Aber es gibt ja noch die vorgehaltene Hand. Und nun, bitte schön, die Frage: Warum steht das alles lang und breit in der Filmfestivalzeitung? Ich würde sagen: Weil’s in den Filmen nicht vorkommt, und weil’s gesagt werden muss, wem eine Stadt den Standortvorteil zu danken hat, vor dem Badhaus III ein Kurorchester in Symphoniebesetzung Wiener Walzer spielen zu lassen.
Auf den Leinwänden aber gab’s einiges an Russenphobie zu sehen. Ein Freibad gerät im slowakischen Dokumentarfilm „66 Seasons“ zur Metapher und zum Weltmodell; die Russen marschieren 1966 in Kosice ein, und wieder einmal „geht die Geschichte baden“ (Regisseur Peter Kerekes). Ja, mit solchem Statement macht man sich zum Herren der Historie, doch tatsächlich geht es den Protagonisten um Unterordnung und Anpassung.
Gern verlegen dann die Filme ihre Handlung in die Geschichte, sagen wir ins Jahr 1933 („Cruel Joys“, ein slowakisch-tschechischer Film von 2002) oder „ins Orwell-Jahr“ 1984 („Pupendo“, Tschechien 2003). Wie passt man sich an? Was gibt man auf? In diesen Filmen hat sich die Frage historisch gesehen erledigt. Ist sie das? Die Distresse ist, den unfreundlichen Filmen aus dem Osten nach zu urteilen, aktuell. Der lettisch-estnische Film „Good Hands“ (2001) tröstet mit der Botschaft, dass selbst eine nichtsesshafte Trickdiebin in der estnischen Provinz respektable Ehegattin und Mutter werden kann. Gott, ja, aber gibt es denn keine Hoffnung, eines Tages mit dem eigenen Jet in KV zu landen? Oder Licht am Horizont? In der Reihe dieses Namens zeigte das Festival „Lilya 4ever“ den neuen Film des Schweden Lukas Moodysson („!Zusammen!“). Exzessiv deprimierend. Jedes Fünkchen Hoffnung, das sich zeigt, wird ausgetreten. In einem trostlosen Russland gehts mit der 16-jährigen Lilya, elternlos, immer weiter bergab. Sie räumt in Abfallcontainern herum, dann ist Prostitution ein Ausweg. Lieb ist nur Volodya, 14 Jahre alt, von zu Hause ausgerissen. Die anderen Jungs aber vergewaltigen sie der Reihe nach. Ein wenig Hoffnung für Volodya: Lilya schenkt ihm einen Fußball. Doch, stich!, die Schere, und der böse Vater lässt die Luft raus. Dann doch viel Hoffnung für Lilya: Ein netter junger Schwede, uneigennützig, verschafft ihr ein Flugticket nebst Arbeit. Aber, peng!, in Malmö knallt die Tür hinter ihr zu, den Schlüssel umgedreht, der Pass weg, und nun wird richtig vergewaltigt. Ein fieser Mann nach dem andern. So geht Menschenhandel.
Was definitiv bleibt: Volodya bringt sich in Russland um (Überdosis), Lilya in Malmö (von der Autobahnbrücke). Rammstein sagen uns, wie wir das finden sollen („Mein Herz brennt“). Und schön anzusehen sind die Schwanenflügel, die Volodya umgeschnallt hat (Engel). Ja, hätte die junge Russin doch auf ihren jüngeren Freund gehört und wäre daheim geblieben. Nur dort hätte sie was fürs Herz haben können, die russische Seele. Sagt der schwedische Regisseur. Und das ist sein Rat: Hier bei uns ist es noch schlimmer und seelenloser als bei euch im Osten. Bleibt bloß weg hier! Tja, dann bleibt noch Zaren-Karlsbad und die Russenconnection. Unsere Freunde aus dem Osten wissen das.
DIETRICH KUHLBRODT