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Archiv-Artikel

Der Kaiser und die Kriegerin

Franz Müntefering, dem Herrscher der SPD, werden die ersten Zacken aus seiner Kone brechen. Angela Merkel macht weiter, was sie kann: so tun, als ob

Die Verehrung, die Merkel aus der Union entgegenschlägt, nimmt bizarre Züge an

Neulich, auf der Geburtstagsparty der Grünen, ist Franz Müntefering wieder mal zu großer Form aufgelaufen. In einer launigen Geburtstagsrede bescheinigte er der Ökopartei, die gerade 25 geworden war, sie habe eine gute Kindheit und eine schöne Jugend gehabt. „Wir Alten haben euch gewähren lassen“, sagte Müntefering und fügte dann hinzu: „Vielleicht hätten wir euch ein bisschen mehr an die Kandare nehmen sollen.“ Was da freundlich zwischen den Zeilen durchschimmerte, war die hart erarbeitete Großzügigkeit des einst so strengen sozialdemokratischen Vaters gegen seine grünen Kinder. Aber während die noch grübelten, ob Müntefering ihr Lebensgefühl vielleicht bis heute nicht richtig verstanden hat, kam der schon wieder aufs Wesentliche zu sprechen – auf die Machtfrage. „2029 bin ich 25 Jahre SPD-Vorsitzender. Bin sehr gespannt, wer dann bei den Grünen Partei und Fraktion führt.“

Das ist zweifellos eine nicht uninteressante Frage, aber sie lenkt vom Eigentlichen ab: Müntefering noch in 25 Jahren SPD-Chef? Ist er noch bei Trost?

Müntefering weiß immer ziemlich genau, was er will. Und bis 2029 will er seinen Job garantiert nicht machen. Müntefering wird sogar wissen, dass ab kommenden Montag eine Frage immer drängender wird: ob er, der unumschränkte Herrscher der deutschen Sozialdemokratie, Kaiser Franz II., nicht doch nur ein Vorsitzender für den Übergang ist. Und ob seine wichtigste Aufgabe nicht darin besteht, die SPD einigermaßen geordnet in die Opposition und damit in die Post-Schröder-Müntefering-Ära zu führen.

Denn dieser 13. Juni, der Tag der Europa- und der Thüringenwahl, wird Müntefering seine erste große Niederlage als Parteichef bescheren. Sie wird ihm die ersten Zacken aus seiner Krone brechen. Die Niederlage der SPD in Hamburg am 29. Februar ging noch voll auf das Konto von Gerhard Schröder; Münteferings Inthronisierung als Parteivorsitzender lag erst drei Wochen zurück, der erhoffte Münfe-Effekt konnte noch nicht wirken. Aber der neue SPD-Chef nahm sich an diesem Sonntag im Februar selbst in die Pflicht. In 105 Tagen werde alles anders sein, sagte er. Und siehe da: Nichts ist anders nach diesen 105 Tagen, zumindest wenn man auf die nackten Zahlen schaut. Der SPD droht an diesem Wahlsonntag, wieder mal, ein großes Desaster. Bei der Europawahl wird sie wohl nicht einmal ihr schlechtes Ergebnis von 1999 erreichen können und sogar unter 30,7 Prozent fallen. In Thüringen läuft sie Gefahr, mit nur knapp über 20 Prozent sogar noch hinter der PDS auf Platz drei zu landen. Diesmal sind das, bei aller Spezifik einer Europa- und einer Landtagswahl, Münteferings Ergebnisse.

Also alles wie gehabt bei der demoralisierten Sozialdemokratie? Ja. Und Nein. Das Experiment mit einem sozialdemokratischen Kanzler sowie einem anderen sozialdemokratischen Partei- und Fraktionschef hat keinen bisher wirklich überraschenden Verlauf genommen. Aber die Gewichte innerhalb der SPD und der rot-grünen Regierung haben sich fast unbemerkt doch verschoben. Münteferings Macht ist gewachsen. Er setzt eigene Akzente. Er hat, gegen die Überzeugung des Kanzlers, die Ausbildungsplatzabgabe durchgesetzt. Er hat mit ungewöhnlich offenen Worten den EU-Stabilitätspakt für erledigt erklärt. Und er hat sich neulich sogar höchstpersönlich um Schröders Kabinett gekümmert und einige Minister für ihre Disziplinlosigkeiten öffentlich gerügt. Aber diese Signale lassen alles offen. Sie sprechen nicht unbedingt dafür, dass Müntefering ein Paralleluniversum zu Schröders Reformwelt aufbaut.

Noch sieht alles nach geplanter Arbeitsteilung aus. Gerhard Schröder hat seine Kanzlerrolle ja auch ein wenig neu ausgelegt. Er fliegt von einem internationalen Gipfeltreffen gleich zum nächsten, sitzt zwischendurch bei Johannes B. Kerner in der Talkshow und umarmt bei entspannten Besuchen in deutschen Landen sein Volk. Schröder kehrt den Staatsmann und Bürgerkanzler raus – das politische Tagesgeschäft und die Partei überlässt er Müntefering.

Der SPD-Chef hat allen etwas zu bieten, den Schröder-Anhängern genauso wie den Linken. Müntefering wärmt die Seele der Partei, stärkt das sozialdemokratische Selbstbewusstsein, redet mit den Kreis- und den Landesverbänden und baut ganz behutsam das Willy-Brandt-Haus zur Schaltstelle wirklicher Macht um. Über das sozialdemokratische Konzept zur Bürgerversicherung entscheidet keine Schröder-Expertenrunde, sondern eine SPD-Arbeitsgruppe unter der Leitung der Parteilinken Andrea Nahles. Den Vorsitz der Grundsatzkommission hat Müntefering selbst übernommen und als Erstes erklärt, dass das Grundsatzprogramm von 1989 einstweilen gilt, damit ja keiner auf die Idee kommt, die SPD hätte kein Programm. Bei all dem bleibt der SPD-Chef flexibel, wie gerade sein taktischer Winkelzug beweist, das Gesetz zur Lehrstellenumlage vielleicht doch auf Eis zu legen.

Am Sonntag wird er einfach sagen, dass es jetzt auf die Wahlen im Saarland, in Brandenburg und Sachsen im September ankommt. Aber vielleicht gibt es den Münte-Effekt ja nur in Münteferings Welt.

JENS KÖNIG

Es läuft gut für Angela Merkel. Sehr gut. Inzwischen kann sie sogar zaubern. „Mit Beginn Ihrer Rede hat es aufgehört zu regnen“, staunt der Bielefelder CDU-Kreischef Marcus Kleinkes und fügt hinzu: „Ich bin sicher, das hat etwas zu bedeuten.“ Was genau, bleibt sein Geheimnis. Macht nichts. Alle klatschen und verstehen, was Kleinkes ausdrückt: Ein Gefühl. Einen tiefen Glauben. Diese Frau, „unsere Bundesvorsitzende“, ist stets zu richtigen Zeit am richtigen Ort – und: Diese Frau kann einfach alles.

Was Merkel über derlei Huldigungen denkt, bleibt unergründlich. Sie geht nicht darauf ein, lächelt weiter freundlich-routiniert, schreibt Autogramme, winkt freundlich-routiniert zum Abschied und rauscht davon im dunklen Wagen nach Berlin. Eigentlich müsste ihr fast schon schummrig werden.

Die Verehrung, die Merkel aus der Union entgegenschlägt, nimmt bizarre Züge an, keineswegs nur im schwarzen Stammland Ostwestfalen. „Sie macht so gut wie gar nichts falsch“, sagt einer aus der Bundestagsfraktion, der vor zwei Jahren noch glühender Stoiber-Fan war. Alle, wirklich alle in der CDU seien sich einig, es gebe „überhaupt gar keinen Zweifel“, wenn heute über die Kanzlerkandidatur entschieden würde, wäre sie die „unangefochtene Nummer eins“.

Damit das wirklich niemand mehr infrage stellen kann, ist auch der Europawahlkampf ganz auf Merkel zugeschnitten. Der sicher scheinende Sieg der CDU am Sonntag soll ihr Sieg werden. Europa kommt nur am Rande der Kampagne vor, im Mittelpunkt steht Merkel, die, geschickt gestylt, von den Großplakaten lächelt, als träte sie schon jetzt als Bundeskanzlerkandidatin an. Das Erstaunliche daran: Es wirkt wie selbstverständlich.

„Frau Dr. Merkel hat die Union aus einer großen Krise herausgeführt“, sagt Ostwestfalens CDU-Chef Elmar Brok und meint den Spendenskandal vor vier Jahren. Seitdem, so scheint es, hat Merkel alles, aber auch alles richtig gemacht. Zunächst hielt sie sich zurück, legte sich inhaltlich auf gar nichts fest, vermied Konflikte und gab der westdeutsch geprägten Männerpartei CDU Zeit, sich an die ostdeutsche Frau an ihrer Spitze zu gewöhnen. Dann, am Tag der Deutschen Einheit 2003, hielt sie plötzlich eine Reformrede, die alle überraschte, weil sie nicht mehr trutschig, sondern tatendurstig klang. Vor allem ihre Rivalen Koch und Stoiber kamen nicht mehr mit. Kaum hatten sie zum ersten Mal das Wort „Kopfpauschalen“ gehört, waren die Reformkonzepte schon beschlossen – auf dem CDU-Parteitag im Dezember. Selbst das eigentlich unerträglich peinliche Theater um die Bundespräsidentenwahl wird im Nachhinein als Merkels Meisterstück gesehen. Als hätte es den Ärger um die Ausbootung des Kandidaten Wolfgang Schäuble nie gegeben. „Ganz herzlich“ dankt ihr der Bielefelder CDU-Gastgeber jetzt „für die hervorragende Kandidatenwahl“. Welche Kandidaten die Union nach Brüssel schicken möchte, bleibt da genauso nebensächlich wie fast alle anderen europäischen Themen.

Für den Wahlsieg dürfte die Botschaft reichen: „Deutschland kann es besser.“ Besser als Rot-Grün natürlich. Merkel konzentriert sich jedenfalls darauf, die echten und vermeintlichen Fehler der Regierung (Dosenpfand! Maut!) genüsslich aufzuzählen. EU-Themen ausführlich zu erwähnen hält sie nicht für nötig. Pflichtgemäß wiederholt sie zwar bei jedem Auftritt das Nein der CDU zum EU-Beitritt der Türkei. Doch sie ist schlau genug, sich ein Hintertürchen offen zu halten für den Fall, dass die EU-Regierungschefs im Dezember den Beginn der Verhandlungen mit Ankara beschließen. Deshalb fügt sie inzwischen stets eine kleine Einschränkung des Neins hinzu und sagt, „zum jetzigen Zeitpunkt“ komme ein Beitritt zu früh.

Außenpolitisch hat sie ja schon so manchen Schlenker machen müssen. Merkels wohlwollende Haltung zum Irakkrieg ist einer kritischeren Distanz zu den USA gewichen. Revidiert hat sie gleichwohl nichts. Sie schimpft wie eh und je, dass Kanzler Schröder Europa vor einem Jahr „gespalten“ habe, und verweist auf ihre Herkunft: „Ich komme aus der früheren DDR, ich weiß, was es heißt, keine Freiheit zu haben.“ Deshalb sei Freiheit für sie ein besonders hoher Wert und deshalb bleibe sie dabei: „Für diese Werte müssen wir bereit sein auch offensiv einzutreten.“ An dieser Stelle bleibt der Beifall mau, Merkel kommt schnell zum nächsten Thema: den Grünen, die alles „komplizieren“. Chemierichtlinien, sinnlose Windkraftförderung und Widerstand gegen die Gentechnik – all das Ökologenzeugs hält nur den Aufschwung auf. Old School auf dem Alten Markt. Neue Konzepte? Offensiv eintreten – für die im Winter stolz beschlossenen CDU-Reformprogramme? Von wegen. Wie auch? Merkel weiß, dass da noch nichts zusammenpasst: gleichzeitige Steuersenkungen und sozialer Ausgleich für die „Kopfpauschalen“ zum Beispiel. Da kommt noch einiges auf Merkel zu, vor allem aus Bayern. Manches deutet darauf hin, sie habe ihren Zenit schon erreicht. Denn besser als jetzt kann es kaum noch werden, da sie Partei und parteinahe Presse fest im Griff hat. In der vergangenen Woche bekam sie von der Welt die „Note 1“. Merkels Ruhmestat: Sie hatte einen Organspenderausweis ausgefüllt.

LUKAS WALLRAFF