: Essens Arme unter Generalverdacht
Die Stadt Essen richtet eine Ermittlungsbehörde ein, um die Wohnungen von HilfeempfängerInnen zu kontrollieren. Schmarotzertum sei schließlich üblich, argumentiert die CDU und will durch die Kontrollen Millionen sparen
ESSEN taz ■ In Gelsenkirchen sind sie zu elft. Sie kommen, um ihre SozialhilfeempfängerInnen genau unter die Lupe zu nehmen. Manchmal mit Fernglas und Kamera von der gegenüberliegenden Straßenseite aus, erzählen die HilfeempfängerInnen, meistens vor Ort in den Wohnungen. Die Sozialdetektive ermitteln, ob Antragsteller wirklich ein neues Bett brauchen und ob da nicht ein reicher Lebensgefährte mit drin liegt. Im Auftrag der Sozialbehörde kontrollieren sie die „Auffälligen“. Auffällig ist, wer häufig Anträge auf Sachmittel stellt oder den Sozialamtsmitarbeitern sonst irgendwie verdächtig vorkommt. „Wir sparen der Stadt so Millionen“, so der Teamleiter der Detektive, Ulrich Schons. Allein im vergangenen Jahr seien es 1,6 Millionen Euro gewesen, spioniert wird schon seit zehn Jahren.
Auch die Stadt Essen will jetztmehr über ihre Bedürftigen wissen. Rund 40.000 Menschen erhalten Unterstützung vom Sozialamt. Viel zu viele, findet die regierende CDU. „Wir müssen davon ausgehen, dass wir regelmäßig von angeblich Bedürftigen betrogen werden“, sagt Jutta Eckenbach, sozialpolitische Sprecherin der CDU. Deshalb soll die Stadtverwaltung jetzt ein Konzept erarbeiten, das dieser Abzocke einen Riegel vorschiebt. „Ganz so krass wie in Gelsenkirchen sollen unsere künftigen Ermittler nicht vorgehen“, sagt Jutta Eckenbach. „Ferngläser und Kameras wird es bei uns in Essen nicht geben.“ Ansonsten ähneln sich die Kontrollkonzepte: Kontrollbesuche sollen diejenigen bekommen, die teuere Einrichtungs- und Bedarfsgegenstände beantragen, Leistungen für Renovierungsarbeiten fordern oder wiederholt Anträge stellen. „Die Kontrolleure kommen auch auf Verdacht“, sagt Jutta Eckenbach. „Es kommt häufig vor, dass Hilfeempfänger in eheähnlichen Gemeinschaften mit wohlhabenden Partnern leben und sich das Geld einstreichen.“
Etwa 26 Kontrolleure will die Stadt beschäftigen, an den Details wird zur Zeit noch gefeilt. „Wahrscheinlich werden wir ab 2005 unsere Kontrolleure mit denen von der Agentur für Arbeit zusammenlegen“, sagt die christliche Sozialpolitikerin. Essens Arme sollen aber möglichst schon im Herbst vom neuen Prüfdienst unter die Lupe genommen werden. „Das wird schon in diesem Jahr eine ganze Menge Geld sparen“, ist sich Jutta Eckenbach sicher.
Der grüne Bürgermeister Hans-Peter Leymann-Kurtz ist sich indes bei einer anderen Sache sicher: „Das Ganze ist Populismus pur“, sagt der Kommunalpolitiker. Zusammen mit der SPD und der PDS hatten die Grünen versucht, den Generalverdacht von den Hilfeempfänger abzuwenden. Erfolglos. „Das muss am nahenden Wahlkampf liegen, in dem die CDU offenbar die Stammtischwähler von rechts anlocken wollen.“
Der Zeitpunkt des CDU Vorstoßes ist tatsächlich seltsam gewählt: Wenn am 1.1.2005 Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammengelegt werden, ändern sich nicht nur die Zuständigkeiten. Sachmittel werden von den Hilfeempfängern nicht mehr separat beantragt, sondern es erhält jeder einen Pauschalbetrag, der für alle Extras reichen muss – der Kontrollpunkt „Anträge“ hat sich somit erledigt. Außerdem gibt es in Essen schon heute zahlreiche Kontrollmechanismen für SozialhilfeempfängerInnen: Zum Beispiel eine Außendienststelle, deren Mitarbeiter bei häufigen Sachmittelanträgen Hausbesuche machen. „Hilfebedürftige sind per se gläsern“, sagt Leymann-Kurtz. „Die Kommunen wissen über Bankgeheimnisse, Schulden und ärtzliche Befunde Bescheid und gleichen diese Daten auch ab. Das muss doch reichen.“ MIRIAM BUNJES