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Archiv-Artikel

Begehrliche Blicke zu den Balten

Häfen, Container, Autobahnen: An mehr Wachstum durch mehr Verkehr glaubt das Baltic Sea Forum. Das ehrenwerteste und umtriebigste Wirtschafts-Netzwerk Norddeutschlands spinnt seine Fäden rund um die Boom-Region Ostsee

In der Boom-Region Ostsee „warten große Märkte“, frohlockt der Minister pflichtschuldigst

aus HamburgSVEN-MICHAEL VEIT

Der Blick geht nach Osten, und er ist begehrlich. Er richtet sich auf alle Länder an der Ostsee, er fokussiert sich auf Wachstum in Wirtschaft, Hafenumschlag und Verkehr. Und seitdem Gewissheit ist, dass Polen und die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen im nächsten Jahr in die EU aufgenommen werden, hat dieser Blick sich zusätzlich aufgehellt. Das Baltic Sea Forum, ein ebenso effektiv und gediegen wie im Stillen arbeitendes Netzwerk aus Politik, Wirtschaft und Finanzwelt, spinnt seine Fäden rund um das Mare Balticum. Und das, dem gemeinnützigen Vereinsstatus zum Trotz, durchaus zum Frommen seiner durchweg ehrenwerten Mitglieder (siehe Kasten rechts unten).

Der Ostseeraum sei „die dynamischste Zukunftsregion Europas“, frohlockte denn auch pflichtschuldigst Bernd Rohwer (SPD), der im schleswig-holsteinischen Kabinett nicht zufällig Minister für Wirtschaft und Verkehr ist, gestern auf der Jahreshauptversammlung des Forums in Kiel. Und die durfte nicht zufällig gar im Gästehaus der rot-grünen Landesregierung stattfinden, in das beileibe nicht jedem Zutritt gewährt wird. Aber das Interesse ist ja, ohne Umschweife, ein gemeinsames: „Hier warten große Märkte“, schwärmte Rohwer. Und vor allem in der Boom-Region Ostsee.

Die Dänen und Schweden hatten gleich zu Beginn der 90er Jahre als erste die neuen Perspektiven erkannt und losgeklotzt. Die 16 Kilometer lange Straßen- und Schienen-Brücke über den Öresund verschmilzt seit drei Jahren die dänische Hauptstadt Kopenhagen und die südschwedischen Städte Malmö und Lund zu einer Metropole mit fast drei Millionen Einwohnern.

14 Universitäten mit mehr als 100.000 Studenten bilden den drittgrößten Hochschulstandort Europas, Pharma-, Hightech- und Gentech-Konzerne betonieren sich am Strand der Meerenge ein, und der gemeinsame Flughafen Kastrup ist mit einer Kapazität von 20 Millionen Passagieren inzwischen einer der größten Airports des Kontinents.

Die norddeutschen Bundesländer hecheln hinterher, inzwischen aber mit System. Hamburg baut die Hanseschwester Lübeck zum Filialhafen an der Ostsee aus, die Autobahn A20 soll in wenigen Jahren mautpflichtige LKWs durch erblühende Landschaften von Bremen und Hamburg ins polnische Stettin dieseln lassen, und dem Containerverkehr ins lettische Riga und ins russische St. Petersburg werden gigantomane Wachstumsraten prophezeit. Das Außenhandelsvolumen zwischen Norddeutschland und den Ostsee-Anrainern wird allein bis zum Jahr 2010 auf locker 200 Milliarden Euro veranschlagt.

Kein Wunder, dass die aus zwölf Staaten an die Kieler Förde geeilten Honoratioren des Baltic Sea Forums eine verbesserte Verkehrsinfrastruktur „zu Lande, zu Wasser und in der Luft“ mit martialischen Worten fordern. Einen „Absatzmarkt“ mit etwa 55 Millionen Menschen gelte es immerhin „zu erschließen“. Eine „ungeheure Chance“, welche das baltische Netzwerk nicht ungenutzt verstreichen lassen möchte.

Auch in einem kleinen atlantischen Randgewässer lässt sich gut im Stillen fischen.