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Archiv-Artikel

Die Laus sticht die Motte locker aus

Die Napfschildlaus ist für Bäume gefährlicher als die Miniermotte. Da hilft weder Laubharke noch Chemie. Und weil sie niemand einzeln abpflücken kann, bleibt nur die Hoffnung auf natürliche Feinde. Die aber sind noch nicht gefunden

Die Berliner Bäume sehen harten Zeiten entgegen: Die Wollige Napfschildlaus ist da, und sie ist weit schädlicher als die Miniermotte. Denn der Neuankömmling befällt nicht allein Kastanien, sondern auch Linden, Platanen, Eichen und Ahornbäume – und damit etwa Dreiviertel der Berliner Straßenbäume.

Die ungehemmte Verbreitung der Miniermotte ließ sich noch durch das Einsammeln und Kompostieren des Kastanienlaubes halbwegs erfolgreich eindämmen. Pflanzenschutzexperten warnen jedoch bereits jetzt, dass die Bekämpfung der Wolligen Napfschildlaus dagegen ungleich schwerer wird. Denn ihre Eier legt die weibliche Laus im Frühjahr an die Unterseite von Ästen und an der Rinde ab – und eben nicht im Laub. Zudem ist der Parasit extrem widerstandsfähig: Im Gegensatz zur Kastanienminiermotte hält die Napfschildlaus auch Nachtfrost von bis zu minus 20 Grad aus.

Auch ein wirksames und zugleich zugelassenes Bekämpfungsmittel ist nach Aussage von Experten derzeit nicht in Sicht. Weil sich die meisten Kommunen nicht für den Schutz ihrer Pflanzen vor Parasitenbefall interessierten, sei für die Hersteller die Vermarktung chemischer Mittel für Stadtgrün unrentabel. Folglich beantragen die Hersteller nur für wenige Mittel eine Zulassung. Auf 10.000 wirksame Substanzen kommt gerade eine zugelassene.

Für Hartmut Balzer von der Berliner Pflanzenschutzbehörde ist allerdings prinzipiell fraglich, ob man der Napfschildlaus überhaupt mit Schädlingsbekämpfungsmitteln zu Leibe rücken kann. „Allein die Biologie dieses Parasiten macht ihn für chemische Bekämpfung unempfindlich“, sagt Balzer. Dazu zählt der schützende Schild, den die Laus trägt, ebenso wie der wollartige Überzug, den sie über die ausgelegten Nester breitet. Zudem enthalten die klebrigen Ausscheidungen, mit denen das Biest den ganzen Baum überzieht, Zucker. Dieser bietet herrlichen Nährboden für Pilze.

So bleibt den Pflanzenschützern nur zu hoffen, dass die Forschung einen geeigneten natürlichen Feind der klebrigen Läuse entdeckt. Bisherige Favoriten sind Erz- und Schlupfwespen. Schweizer Wissenschaftler wollen diese nur drei Millimeter großen Wespen schon gegen die Mottenbrut zum Einsatz bringen. Grundsätzlich wären sie auch zur Bekämpfung der Napfschildlaus geeignet. Allerdings sind die Auswirkungen einer massenhaften Schlupfwespen-Ansiedlung auf das gesamte Ökosystem nicht ausreichend erforscht. Zwar sind Schlupfwespen so genannte Nützlinge, doch bleibt fraglich, wie man deren ausufernde Verbreitung einschränkt. Schließlich sind diese Wespen selbst parasitär und legen ihre Eier in fremde Larven – zu denen auch seltene heimische Schmetterlinge zählen. „Zu diesem Problem herrscht ein europaweiter Expertenmangel“, beklagt Balzer.

Langfristig bleibt der Berliner Behörde nur der vorbeugende Schutz vor neuen Schädlingen. Dazu zählt die ständige Kontrolle von importiertem Obst und Gemüse, Holz und Zierpflanzen durch die „amtliche Pflanzenbeschau“ auf dem Berliner Fruchthof. Blinde Passagiere aus Übersee sollen dort enttarnt werden, bevor sie hierzulande heimisch werden. JAN ROSENKRANZ