■ Politik und Wirtschaft kommt der Machtkampf der IG Metall gerade recht: Schöne neue Arbeitswelt
betr.: „IG Chaos: Alle Räder stehen still“, „Doppelt gehärtet“, „Den Führungsanspruch verloren“ (Die IG Metall paralysiert sich), taz vom 10. 7. 03, „Der IG Metall laufen die Mitglieder davon“, taz vom 11. 7. 03, „Basis muckt heftig auf“, „Das hat die Basis nicht verdient“, alle von Thilo Knott, taz vom 12. 7. 03
Der große Vorsitzende, die Leuchtfigur der IGMetall, Klaus Zwickel, räumt endlich auf! Wo kommen wir denn hin mit unserer IG Metall, wenn solche Leute wie der zweite Vorsitzende Jürgen Peters zu guter Letzt auch noch Vorsitzender wird. Wir brauchen doch einen Vorsitzenden, den (!) die Wirtschaft führen kann. Wir müssen endlich wegkommen von diesen alten Linken, die den Arbeitern immer mehr Rechte und wo möglich mehr Lohn erstreiken wollen.
Zwickel hat es ja gezeigt, dass er Verantwortung wahrnehmen kann: die Entscheidung, die Abfindung für den Vorstand von Mannesmann durchzuwinken, Esser 60 Millionen Mark (30 Millionen Euro). Solche Leute braucht das Land.
Sein von ihm gewünschter Nachfolger, Berthold Huber, hat sein Gesellenstück schon abgeliefert, den neuen Entgelt-Rahmen-Tarifvertrag (ERA): Mittel- und langfristig können die hohen Vergütungen der Arbeitnehmer für die Unternehmen endlich verringert werden. Die vom ehemaligen Bundeskanzler Kohl eingeführte und vom jetzigen Kanzler Schröder fortgeführte Umverteilung von unten nach oben, darf nicht beendet werden. Dazu brauchen wir willige Gewerkschafter, die bereit sind, dies als positive Reform ihren Mitgliedern zu verkaufen. […] Diese neue Arbeitswelt können wir nur mit Leuten wie Zwickel, Huber, Schmoldt usw. erreichen, Traditionalisten und Betonköpfe wie Peters müssen verhindert werden.
Wie weit sind wir gekommen, wenn sich, wie geschehen, ein SPD Bundeskanzler die so genannte Steuerreform von der Wirtschaft ausarbeiten lässt, die Reichen immer reicher macht, diejenigen, die ihn gewählt haben, bescheißt, und dabei noch willfährige Gewerkschaftsfunktionäre ihn in seiner Politik unterstützen?
BERNHARDT FAASS, Straubenhardt-Feldrennach, IG-Metall-Mitglied seit über 30 Jahren
Der Brennpunkt über die Situation der IG Metall: Drei Spalten lang wird beschrieben, wie schlecht doch das Verhältnis zwischen Zwickel und Peters ist, wann sie sich angucken oder nicht und wer mit wem keinen Sekt trinkt. Es ginge lediglich um Personen, deren persönliche Macken und Machtansprüche eine „Führungskrise“ ausgelöst hätten, wird suggeriert. Auf wessen Seite der Autor Thilo Knott dabei steht, verbirgt er uns nicht: „Die Entscheidung für Jürgen Peters ist also kaum mehr abzuwehren“.
Die inhaltlichen Differenzen, die die IG Metall zu sprengen drohen, werden nur einmal am Rande erwähnt – dafür in bester neoliberaler Hirnverdrehungsterminolgie: Peters wird jetzt womöglich Vorsitzender, „vermutlich ohne einen reformorientierten Widerpart“. Sozialabbau, Entsolidarisierung und drastische Einschnitte in ArbeitnehmerInnenrechte werden in diesem Land von Regierung und Opposition in astreinem Neusprech „Reformen“ genannt, und wer sich dagegen wehrt – meist verzweifelt und weitgehend erfolglos – gehört damit zu den „Protagonisten der Verweigerung“, wie Thilo Knott in dem Interview mit dem „Gewerkschaftsforscher“ (?) so unverblümt und bar jedes eigenständigen Gedankens sagt. Wieso muss ich in der taz immer öfter Artikel lesen, die das globale Mainstream-Gehirnwäschekartell diktiert haben könnte? KARIN LENK, Bielefeld
Tipps, die der Kanzler den Gewerkschaften gibt, lassen den Schluss zu, dass er von starken Gewerkschaften nichts hält. […] Wir sind das Land mit den wenigsten Streiks, sollen wir auf unsere einzige Kraft, die Verweigerung unserer Arbeitskraft, verzichten und uns ganz den Arbeitgebern ausliefern? Verzichten die Arbeitgeber auch auf ihre noch größere Macht, die wirtschaftliche Macht? Wenn die Gewerkschaften auf die Möglichkeit eines Streiks verzichten, verkommen Sie zu einem kollektiven Bettelverein, der auf die Gnade der Kapitalseite angewiesen ist. Ist es das, was als Umdenken vom Kanzler gefordert wird?
[…] Zerschlagen der Flächentarifverträge, ist zerschlagen der Solidarität. […] Es hört sich gut an: Die Belegschaften (Betriebsräte) wissen am besten, was gut ist für den Betrieb, ob Lohnverzicht, um den Betrieb zu retten (es wurde noch nie ein Betrieb, der am Abgrund stand, damit gerettet, nur das Sterben wurde verlängert), oder, wenn es dem Unternehmen gut geht, etwas höhere Einkommen zu vereinbaren, ganz wie der Unternehmer es zulässt.
Übrigens: „Peters & Co.“ ist falsch, es ist Zwickel & Co. Zwickel ist der Mann, der aus der sicheren Position heraus seinen ungeliebten Vize abschießen will. Peters musste sich irgendwann wehren, wenn nicht der Eindruck entstehen soll, dass die Vorwürfe berechtigt sind. GÜNTER LÜBCKE, Hamburg
In der derzeitigen gewerkschaftspolitischen Diskussion geht es keineswegs darum, ob sich die IG Metall als „ernst zu nehmender Faktor“ aus der „Reformdebatte“ verabschiedet, wie der notorische (Anti-)Gewerkschaftskronzeuge Hans-Peter Müller von der FH Berlin (gibt es nur einen einzigen Experten zu diesem Thema in Deutschland?) behauptet. Das Wort „Reform“ sollte die taz im Umfeld von Agenda 2010 und Sozialabbau ohnehin vermeiden – und sich nicht beteiligen an der Häme, mit der FAZ, Bild oder Spiegel seit Monaten gegen die Gewerkschaften Stimmung machen.
Vielen Leuten aus Politik und Publizistik kommt der Machtkampf der IG Metall gerade recht, um den DGB und seine Organisationen nach britischem Muster (Thatcher-Regierung in den Achtzigerjahren) entscheidend zu schwächen. Es hat Zeiten gegeben, in denen die taz den kritischen und unabhängigen Gewerkschaftslinken ein Forum geboten hat und nicht Leuten, die besser bei Handelsblatt oder Financial Times aufgehoben wären.
THOMAS GESTERKAMP, Köln
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