FREIBURGER ANTI-ATOM-PROTEST: DER RECHTSSTAAT HAT SICH BLAMIERT
: Zwei Stühle und ein Transparent

Es ist ein kleiner, aber ein schöner Erfolg. Ein gegen zwei Mitglieder des Freiburger Anti-Atom-Plenums ausgesprochener Platzverweis war rechtswidrig. Sie hatten nichts anderes getan, als beim deutsch-französischen Gipfel vor zwei Jahren ein Transparent hochzuhalten, auf dem gegen die Atompolitik beider Staaten protestiert wurde.

Ein Regierungspräsidium in Baden-Württemberg hat jetzt das Fehlverhalten der eigenen Landespolizei eingeräumt. Blamiert ist nun die sich sonst so liberal gebende Stadt Freiburg. Vor Gericht hatte sie in düstersten Farben ausgemalt, wie das harmlose Transparent letztlich „Leben und Gesundheit der Staatsgäste“ hätte gefährden können. Der Zweipersonenprotest hätte „weitere Sympathisanten anziehen und so zu einer unüberschaubaren Ansammlung führen können, aus der heraus dann anonyme Gewaltbereite hätten aktiv werden können“ – welch ein Szenario!

32 Platzverweise, 30 Zurückweisungen und 19 vorläufige Festnahmen gab es an diesem schönen badischen Sonnentag. Manche wurden wohl nur wegen ihres szenetypischen Aussehens der Innenstadt verwiesen – auch das ein Unding. Doch nur die Sache mit dem Transparent hatte ein Nachspiel. Schade eigentlich, bei vielen der anderen Polizeimaßnahmen hätte eine Überprüfung wohl ebenfalls zu interessanten Ergebnissen geführt. Aber wer nur szeneintern über das Unrecht mault und sich in seinen Klischees vom Repressionsstaat bestätigt fühlt, braucht sich nicht zu beschweren, wenn die nachträgliche Korrektur unterbleibt.

Die beiden Transparentträger jedenfalls haben eine staatsbürgerliche Auszeichnung verdient – auch wenn es ihnen vermutlich peinlich wäre. Schon die Aktionsform war von geradezu verblüffender Effizienz: sich einfach ins Volk zu mischen, auf zwei Stühle zu stellen und die Staatsgäste mit der eigenen Meinung zu konfrontieren. Ganz ohne das autonome Maulheldentum, das selbst argumentierende Protestaufrufe nicht ohne Bürgerkriegsrhetorik („Knack den Gipfel“, „Macht Protest zum Widerstand“) formulieren kann. Erst recht verdienstvoll ist es aber, dann auf das wahrgenommene Grundrecht auch zu bestehen.

Erst dadurch wurde die von der Stadt verbreitete servile Grundstimmung dieses Tags richtig deutlich, in der jede nonkonforme Äußerung oder gar Erscheinung von der Polizei als Gefährdung von Gastgeberpflicht und Gipfelsicherheit missdeutet wurde. Steine und Hasskappen mögen mehr anarchistisch-machohaften Sexappeal ausstrahlen. Aber wer den demokratischen Rechtsstaat beschämen möchte, braucht manchmal nur zwei Stühle, ein Transparent und etwas juristisches Beharrungsvermögen. CHRISTIAN RATH