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Archiv-Artikel

Im Streit mit Gott und der Welt

Der Göttinger Theologieprofessor Gerd Lüdemann glaubt nicht mehr an die Bibel. Deshalb verlor er seinen Lehrstuhl, seine Studenten – und jetzt wieder mal einen Prozess. Lüdemanns Kreuzzug gegen die Lügen der Kirche aber geht weiter

aus Göttingen Kai Schöneberg

Als junger Mann pilgerte er nach Taizé. Er wollte Mönch werden. Schon „der Geruch der Bibel hat mich in eine heilige Atmosphäre“ versetzt, sagt er heute. Dann hat er das Buch der Bücher genau geprüft, ganz genau, bis „von den Visionen nichts übrig blieb“. Gerd Lüdemann hat gehandelt. Weil „die Mirakel nicht stattgefunden haben“, weil „der Glaube zum Aberglaube führt“, der die Menschen „abhängig und krank“ macht, rebellierte der Göttinger Theologieprofessor gegen alle Dogmen, gegen die Bischöfe, gegen seine Universität, gegen die „Verfilzung von Staat und Kirche“ – und steckte gerade wieder eine bittere Niederlage ein.

An diesem Tag nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg sitzt der Professor ermattet auf der abgewetzten Couch seiner Doppelhaushälfte in Göttingen und muss erst mal „ein bisschen Trauerarbeit leisten“. Das OVG hatte am Dienstag in einer Berufungsverhandlung entschieden, dass Lüdemann nicht auf seinen alten Lehrstuhl „Neues Testament“ an der Theologischen Fakultät der Göttinger Uni zurückkehren darf. Die Hochschule habe dem Professor 1998 zu Recht den „konfessionsgebundenen“ Lehrauftrag entzogen, den er vor 15 Jahren angetreten hatte. Jetzt will Lüdemann das Urteil prüfen – bevor er in seinem Kreuzzug gegen das Heucheln weiter zieht, vor das Bundesverwaltungsgericht. „Es gibt doch ein intellektuelles Gewissen“, sagt Lüdemann beschwörend wie ein Prediger. Der Streit hat tiefe Furchen in sein Gesicht gegraben. Lüdemann hat nicht nur den Glauben an Gott verloren, sondern mit den Jahren auch 10 Kilo Gewicht.

Die Jungfrauengeburt ist ein Weihnachtsmärchen, die Auferstehung hat es nie gegeben, nicht Jesus, sondern Paulus gründete das Christentum – das sind Lüdemanns neue Dogmen. Spätestens mit seinem Buch „Der große Betrug. Und was Jesus wirklich sagte und tat“ schrieb sich der Theologe vom Christentum los. Nicht nur die Feuilletons diskutieren den Fall seit Jahren, weltweit. Plötzlich hatten auch die Protestanten ihren „Küng“. Dem Tübinger Theologen war die kirchliche Lehrbefugnis entzogen worden, weil er die Unfehlbarkeit des Papstes angezweifelt hatte. Natürlich wollten auch die oberen Evangelen keinen „Märtyrer“ entstehen lassen, weil Lüdemann sagte, was viele denken. Dennoch hat er „viele Briefe von Pfarrern bekommen, die schrieben, sie wären längst ausgetreten, wenn sie nicht noch Geld verdienen müssten.“

Das Neue Testament ist für ihn keine Glaubensgrundlage mehr. 90 Prozent aller Jesusworte seien „unecht“. Spätere Interpreten hätten kräftig dazugedichtet. Lüdemann sagt, „manipuliert“. Nicht mal die Nächstenliebe ist für ihn noch christlichen Ursprungs, sondern eine altjüdische Weißheit. Gerade schreibt er ein Buch über die „Intoleranz des Evangeliums“. Für viele ist das harter Tobak.

Auch, dass Jesus nicht der Messias ist, findet nicht überall Zuspruch. Fast 2.000 Jahre nach seinem Tod sei der Heiland schließlich immer noch nicht auf die Erde zurückgekommen, meint Lüdemann. „Er war ein symphatischer Naturbursche aus Galiläa, ein Magier, der Dämonen ausgetrieben hat. Und“, sagt der Forscher mit großem Bedacht, „das füge ich hinzu: Dämonen gibt es nicht.“

Im Grundgesetz gibt es hingegen die Glaubensfreiheit – an der Universität gilt sie offensichtlich nicht überall. Was passiert also mit den Ketzern des 21. Jahrhunderts, wie geht die Kirche mit Ungläubigen in den eigenen Reihen um? Die Professoren-Kollegen gaben vor, Lüdemanns Schritt zu „respektieren“, sie geben ihm auch heute noch die Hand. Mehr aber auch nicht. Das Kollegium distanzierte sich öffentlich von Lüdemann. Die „Kirche“ habe „Spitzel“ in seine Veranstaltungen geschickt, sie betreibe „Mobbing“, meint der Professor.

Auf Druck der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und mit Genehmigung der Landesregierung wurde dem Mann, dessen Name oft um das Wort „streitbar“ ergänzt wird, schließlich ein neuer Lehrstuhl für „Geschichte und Literatur des frühen Christentums“ eingerichtet. Weil ein Theologieprofessor die Bibelworte nur ungefiltert an seine Schüler – angehende Pfarrer oder Religionslehrer – weitergeben darf, verschob ihn die Uni aufs Abstellgleis. Sein Fach gibt es nirgendwo sonst, er hat kaum noch Studenten, weil er keine theologischen Prüfungen mehr abnehmen darf. Lüdemann sagt, dass „Marxismus doch auch am besten ein Nicht-Marxist“ unterrichte. Und, dass die Kirche ihn ja eigentlich auch bekämpfen muss. Ohne Wunder „würde ihnen ja das Fussvolk weglaufen“.

Lüdemann ist jetzt 57 Jahre alt. „Die Nüchternheit sagt mir, dass es zu Ende geht“, erzählt er. Dann ist da gar nichts mehr, kein Trost, keine Erlösung. Erst durch seine Forschung ist der Tod für ihn „zum größten Feind“ geworden. Vorher hat Lüdemann noch ein Ziel: Recht bekommen. Auch das Bundesverfassungsgericht prüft gerade eine Klage wegen der ihm entzogenen C1-Professur. Lüdemann glaubt wohl nur noch an eins: Seinen Sieg. „Ich will erreichen, dass der rechtliche Status der theologischen Fakultäten in Deutschland auf den Prüfstand kommt“.